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Zurück ins Krisenland: Corona treibt Venezolaner nach Hause

Wegen Hunger und Unterdrückung haben Millionen Venezolaner ihrer Heimat den Rücken gekehrt. In den Nachbarländern arbeiteten sie als Bauarbeiter, Tagelöhner, Zimmermädchen. Jetzt sind sie die Ersten, die ihre Jobs verlieren. Vielen bleibt nur der Weg zurück.

Venezolaner in Kolumbien
Hunderte Venezolaner hausen inmitten der Corona-Pandemie in einem Camp vor dem Busterminal im Norden der kolumbianischen Hauptstadt. Foto: Keoma Zec/Zuma Press/dpa
Hunderte Venezolaner hausen inmitten der Corona-Pandemie in einem Camp vor dem Busterminal im Norden der kolumbianischen Hauptstadt. Foto: Keoma Zec/Zuma Press/dpa

BOGOTA. José Herrera will einfach nur nach Hause. Gemeinsam mit Hunderten weiteren Venezolanern haust er in einem provisorischen Lager am Rand einer Schnellstraße in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá.

»Ich möchte meine Augen schließen und in meinem Haus in Venezuela aufwachen, wo meine Mutter, mein Vater und meine Geschwister sind«, sagt der 34-Jährige.

Etwa 400 Männer, Frauen und Kinder harren bereits seit Tagen in dem Camp gegenüber dem Busterminal im Norden Bogotás aus. Sie hoffen, dass die Stadtverwaltung Busse bereitstellt, die sie an die Grenze zum Nachbarland bringen. Einfach so hinaus kommen sie nicht: Die Polizei hat das Lager abgeriegelt, um eine Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu verhindern.

Vor Ausbruch der Pandemie war Kolumbien für viele Venezolaner das gelobte Land. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Krise verließen fünf Millionen Menschen ihre Heimat. Allein in Kolumbien leben derzeit 1,8 Millionen Venezolaner. »Mir ging es gut. Ich habe in Warenlagern gearbeitet, auf Baustellen und in einem Telefon-Geschäft«, erzählt Herrera. Er kam vor drei Jahren aus Valencia im Norden Venezuelas nach Kolumbien.

Corona hat für die Migranten nun alles verändert. Mehr als die Hälfte verfügt über keine Aufenthaltserlaubnis. Viele arbeiten im informellen Sektor. In der Krise sind sie die ersten, die ihre Jobs verlieren. Auch Herrera wurde entlassen und aus der Wohnung geworfen. Damit seine Frau, die vier Töchter und er selbst Geld haben, begann er zu betteln. Jetzt aber sieht er keine Zukunft mehr in Kolumbien und will zurück nach Venezuela.

Mehr als 76.000 Venezolaner seien bereits in ihre Heimat zurück, sagt der Leiter von Kolumbiens Einwanderungsbehörde, Juan Francisco Espinosa. 24.000 weitere wollen noch. Allerdings lassen die venezolanischen Behörden an den wichtigsten Übergängen Cúcuta und Arauca nur 1200 pro Woche über die Grenze. Damit will Präsident Nicolás Maduro eine Ausbreitung des Virus ist seinem Land verhindern. In Venezuela gibt es nach offiziellen Angaben bislang nur rund 3000 Corona-Infektionen. In Kolumbien dagegen sind es fast 60.000 Fälle.

An den Grenzübergängen schlafen viele nun im Freien. Sie sind mit Bussen gekommen oder sogar gelaufen, sagt der Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Jozef Merkx. Die kolumbianischen Behörden versuchen zu verhindern, dass noch mehr Migranten aus dem Landesinneren an die Grenze strömen. Espinosa rechnet damit, dass es mehr als ein halbes Jahr dauern könnte, bis alle Rückkehrwilligen wieder zuhause sind.

Ob es ihnen dort besser gehen wird, ist fraglich. Venezuela - einst ein reiches Land - steckt weiterhin in einer schweren Wirtschaftskrise: Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs sind schwer zu bekommen oder unerschwinglich. Stromausfälle sind an der Tagesordnung. Die weit verbreitete Kriminalität macht Venezuela zu einem der gefährlichsten Länder der Welt. Der Machtkampf zwischen Maduro und dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó ist festgefahren und lähmt das Land.

Nach Einschätzung von Experten dürften die Corona-Zahlen in Venezuela aufgrund geringer Test-Kapazitäten und mangelnder Transparenz deutlich über den offiziellen Statistiken liegen. Die Naturwissenschaftliche Akademie ging beispielsweise bereits im Mai davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Infektionen mindestens 63 Prozent über den Angaben der Regierung liegt. Bereits jetzt ist das Gesundheitswesen weitgehend zusammengebrochen. In den Kliniken fehlt es an Medikamenten und einfachstem medizinischem Material. Auch viele Ärzte sind weg ins Ausland.

Herrera weiß um die katastrophalen Bedingungen in seiner Heimat. Trotzdem will er zurück. »Es ist besser, als in Kolumbien auf der Straße zu schlafen«, sagt er. (dpa)