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Zeit der Rache? Szenarien für die US-Kongresswahlen

Holen die Republikaner die Mehrheit in einer oder beiden Kammern des US-Kongresses? Oder gelingt den Demokraten eine Sensation? Falls nicht, muss sich Biden auf eine harte Zeit einstellen.

Joe Biden
Joe Biden spricht bei einer Drive-in-Kundgebung für die demokratischen Kandidaten des US-Senats in Georgia, Warnock und Ossoff. Foto: Patrick Semansky
Joe Biden spricht bei einer Drive-in-Kundgebung für die demokratischen Kandidaten des US-Senats in Georgia, Warnock und Ossoff.
Foto: Patrick Semansky

Am 8. November entscheidet sich, ob die kommenden zwei Jahre für Joe Biden eher angenehm oder schwer erträglich werden.

Dass ein US-Präsident bei den »Midterm«-Wahlen in der Mitte seiner Amtszeit die politische Mehrheit im Kongress verliert, ist historisch gesehen eher die Regel. Doch inzwischen stehen sich Demokraten und Republikaner derart unversöhnlich und teils feindlich gegenüber, dass Kooperation kaum noch möglich und Rache zu einer festen politischen Kategorie geworden ist.

Das macht die Aussicht für Biden besonders unangenehm, es künftig womöglich mit einem Kongress zu tun zu haben, der ganz oder teilweise von den Republikanern kontrolliert wird. Die drohen unverhohlen mit parlamentarischen Untersuchungen und Blockade. Der Wahlausgang ist besonders unberechenbar. Die möglichen Szenarien:

Ein geteilter Kongress

Folgendes wäre laut Umfragen gut möglich: Die Republikaner erobern die Mehrheit im Repräsentantenhaus und die Demokraten verteidigen ihre Mehrheit im Senat. Das wäre erst mal erfreulich für Biden, denn üblicherweise verliert die Partei des Präsidenten bei den »Midterms« Sitze in beiden Kammern. Unangenehm würde es für Biden trotzdem.

Die Republikaner drohen mit diversen Untersuchungen gegen Demokraten oder gar Amtsenthebungsverfahren gegen Mitglieder des Biden-Kabinetts. Der Rechtswissenschaftler Gregory Magarian von der Washington University in St. Louis meint, viele in der Partei wollten »Rache« üben für das Vorgehen gegen den früheren republikanischen Präsidenten Donald Trump: Zwei Amtsenthebungsverfahren liefen gegen ihn, ein Untersuchungsausschuss geht seiner Rolle bei der Attacke auf das US-Kapitol nach. Das Ziel einiger Republikaner ist, nun im Gegenzug Biden und seiner Regierung das Leben schwer zu machen.

Vor allem würde der Präsident bei diesem Ausgang keine großen Gesetzesvorhaben mehr durch den Kongress bringen können - »weil ihm die Republikaner keine Erfolge gönnen und nicht wollen, dass er seine Bilanz verbessert«, sagt Johannes Thimm, USA-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das könnte auch Folgen weit über die USA hinaus haben: Denn die Republikaner könnten womöglich ebenso die Ukraine-Hilfen, die vom Kongress bewilligt werden müssen, blockieren oder ausbremsen. Der oberste Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, der Vorsitzender der Kammer werden will, hat genau das angedroht und argumentiert, inmitten einer Rezession könnten die USA der Ukraine keinen »Blankoscheck« ausstellen. Experten vermuten dahinter allerdings eher einen Versuch McCarthys, Druck aufzubauen.

Die theoretische andere Variante, dass die Demokraten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus halten und die Republikaner dafür die Mehrheit im Senat holen könnten, gilt als sehr unwahrscheinlich.

Eine Mehrheit für die Republikaner in beiden Kammern

Sollten die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern gewinnen, wäre das bitter für Biden. »Dann hat er drei Probleme«, sagt Thimm: »Er bekommt keine Gesetze mehr durch, muss sich mit Untersuchungen herumschlagen und bekommt auch keine Nominierungen im Senat mehr durch.« Wichtige Personalien auf Bundesebene - etwa Botschafter, Kabinettsmitglieder oder Bundesrichter - müssen vom Senat bestätigt werden. Gerade die Berufung von Richtern hat Gewicht: »Das haben beide Parteien zu einer Priorität gemacht, weil da die Kämpfe über die politische Zukunft des Landes ausgefochten werden«, sagt Thimm.

Verlieren die Demokraten auch ihre hauchdünne Mehrheit im Senat, käme also vieles zum Stillstand. »Das würde erst mal Blockade und Reformunfähigkeit bedeuten«, erklärt Thimm, betont aber: »Biden bleibt dann das exekutive Regieren: per Dekret, per Anordnung, per Regulierung durch nachgeordnete Behörden. Da geht schon noch eine ganze Menge.« Viele dieser Befugnisse hat Biden allerdings schon zu Beginn seiner Präsidentschaft ausgespielt. Deshalb stellt sich die Frage, ob er auf diese Weise noch größere Vorhaben anstoßen könnte.

Die Republikaner könnten in diesem Szenario gleich in beiden Kongresskammern Untersuchungen gegen Demokraten anstrengen. Biden sagte am Donnerstagabend (Ortszeit), ihm sei schon gesagt worden, er müsse sich in diesem Fall gar auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn selbst einstellen. »Kein Scherz.« Er wisse nur nicht, »wofür zum Teufel« die Republikaner ihn des Amtes entheben wollten.

Außerdem könnten die Republikaner nach Belieben legislative Initiativen anstoßen, etwa ein nationales Gesetz zur Einschränkung von Abtreibungen. Viel davon würde verpuffen, weil der Präsident dies per Veto stoppen könnte und keine Zweidrittelmehrheit für die Republikaner absehbar ist, um ein Veto zu überstimmen. Mühsam wäre es für Biden trotzdem. »Die zweite Hälfte seiner Präsidentschaft wäre rein defensiv«, sagt Magarian. »Er würde im Wesentlichen an seinem Schreibtisch sitzen und politische Drohungen abwehren.« Ob Biden aus dieser Position heraus - und als ältester Präsident aller Zeiten - gute Chancen für eine zweite Amtszeit hätte, ist fraglich.

Eine Mehrheit für die Demokraten in beiden Kammern

Derzeit haben Bidens Demokraten eine knappe Mehrheit in beiden Kongresskammern, im Senat nur eine hauchdünne. Sie besetzen dort 48 der 100 Sitze, zwei Unabhängige stimmen nahezu immer mit ihnen. Auf eine Mehrheit kommen sie nur durch die Stimme von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, die gleichzeitig Präsidentin des Senats ist und in einer Pattsituation mit abstimmen darf. Bliebe es dabei, wäre das für Biden eine echte Sensation - angesichts der sonst üblichen Verluste für den Präsidenten bei den »Midterms«.

Das hieße, Biden könnte weitermachen wie bisher. Dass das aber auch nicht immer einfach ist, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt. »Auch mit einfachen Mehrheiten kann Biden nicht durchregieren«, sagt Thimm. Vor allem zwei Parteikollegen machten Biden im Senat das Leben schwer: Joe Manchin und Kyrsten Sinema blockierten diverse seiner Vorhaben - auch ein gewaltiges Investitionsprogramm für Klima und Soziales, das Biden als Vermächtnis seiner Präsidentschaft angepeilt hatte. Am Ende konnte er nur Teile davon durchsetzen.

Könnten die Demokraten ihre Mehrheit im Senat womöglich noch ausbauen, wonach es in Umfragen nicht aussieht, dann täten sich für sie neue Chancen auf. »Wenn die Demokraten einen Sitz dazugewinnen, müssen sie sich um Manchin nicht mehr viele Sorgen machen«, sagt Magarian. »Wenn die Demokraten zwei Sitze dazugewinnen, müssen sie sich weder um Manchin noch um Sinema mehr viele Sorgen machen.« Das würde Biden dramatisch mehr Spielraum geben. Er könnte zuvor blockierte Vorhaben doch noch durchbringen und punktuell womöglich die uralte Filibuster-Regel im Senat aushebeln, um Initiativen zur Abstimmung zu bringen, gegen die sich Republikaner vehement sperren. In einem Wort hieße dies für Biden eines, sagt Magarian: »Halleluja«.

© dpa-infocom, dpa:221104-99-379790/5