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Zehntausende Fachkräfte fehlen für Ganztag in Grundschule

Seit vergangenem Herbst steht fest: In einigen Jahren hat jedes Grundschulkind ein Recht auf Ganztagsbetreuung. In einer Studie wird aber Alarm geschlagen.

Ganztagesbetreuung
In Deutschland fehlen Zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen. Foto: Sebastian Gollnow
In Deutschland fehlen Zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen.
Foto: Sebastian Gollnow

Jedes einzelne Grundschulkind hat künftig einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung - für die Umsetzung bis Ende des Jahrzehnts fehlen einer Studie zufolge aber Zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen in Deutschland.

Die Bundesländer müssten gemeinsam mit allen Verantwortlichen schon jetzt handeln, um dem steigenden Personalmangel in Grundschulen und Horten vorzubeugen, sagte Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung, die die Studie veröffentlichte.

Insgesamt könnten mehr als 100.000 pädagogische Fachkräfte fehlen. Vor allem im Westen wird die Umsetzung des Rechtsanspruchs demnach schwierig, im Osten sollte dagegen der vergleichsweise schlechtere Personalschlüssel auf West-Niveau verbessert werden. Am Geld scheitert es der Studie zufolge nicht - es gibt schlicht zu wenige Menschen, die den Beruf ergreifen wollen.

Bund und Länder hatten im vergangenen September einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen, der schrittweise eingeführt wird. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift die Regelung bei Kindern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Klassen.

Gutes Zeugnis für Berlin, Hamburg und Thüringen

Die Ausgangslagen in den Bundesländern unterscheiden sich stark: Im Osten nutzen bereits heute im Schnitt 83 Prozent der Grundschulkinder ein Ganztagsangebot. Dazu kommen 3,5 Prozent, die ein Übermittagsangebot bis 14.30 Uhr besuchen. Im Westen sind es dagegen nur 47 Prozent im Ganztag und 18 Prozent im Übermittagsangebot. Dafür hinkt die Personalausstattung im Osten hinterher: In Horten etwa muss eine Vollzeit-Fachkraft dort rechnerisch mehr als doppelt so viele Kinder betreuen wie eine Kollegin oder Kollege im Westen.

Ein gutes Zeugnis stellt die Studie nur Berlin, Hamburg und Thüringen aus. Dort gibt es bis Ende des Jahrzehnts laut der Prognose genügend Personal, um jedem einzelnen Grundschulkind einen Ganztagsplatz anzubieten - und das bei einem guten Betreuungsschlüssel.

Auch alle weiteren ostdeutschen Bundesländer können bis 2030 jedem Kind ein Ganztagsangebot machen. Allerdings plädiert die Bertelsmann Stiftung dafür, die personelle Situation an Grundschulen und Horten zu verbessern. Würde man sich an Westdeutschland orientieren, wären laut der Prognose dafür rund 26.000 zusätzliche Fachkräfte nötig. Die könnten laut der Studie mit Bundesmitteln aus dem Ganztagsförderungsgesetz finanziert werden.

Die westdeutschen Bundesländer müssten sich dagegen auf den Platzausbau konzentrieren. Sollte jedem einzelnen Kind in der Grundschule ein Ganztagsangebot gemacht werden, bräuchte es bis 2030 aber mehr als eine Million zusätzliche Plätze und rund 76.000 Fachkräfte. Selbst wenn nur die heutige Quote Ostdeutschlands - wo mehr als vier von fünf Grundschülern ganztags betreut werden - angepeilt würde, fehlten noch 55.000 Fachkräfte. Und auch wenn ein Teil der Kinder weiter das Übermittagsangebot nutze, bliebe noch ein Minus von 34.000 Fachkräften, heißt es in der Studie.

Langfristig angelegte Fachkräfteoffensive gefordert

Die Zahlen zeigten, »dass unser frühkindliches Bildungssystem vor dem Kollaps steht und wir jetzt unbedingt handeln müssen«, sagte Doreen Siebernik, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. Kolleginnen und Kollegen in Kitas und Schulen seien nach den kräftezehrenden Herausforderungen der vergangenen Jahre am Limit. »Die Arbeitsbelastung ist vielfach zu hoch. Dieser Zustand ist nicht mehr akzeptabel«, sagte sie.

Expertin Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung forderte eine »langfristig angelegte Fachkräfteoffensive von Bund und Ländern«. Für eine bessere und bundeseinheitliche Ausstattung müsse die Politik jetzt gesetzliche Rahmenbedingungen, genügend Ausbildungskapazitäten und Anreize für den Einstieg ins Berufsbild schaffen. Auch GEW und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) plädierten für eine »Fachkräfteoffensive«.

Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sieht dabei auch den Bund in der Bringschuld. Der dürfe sich hier nicht immer mit Verweis auf die Länderhoheit wegducken, sondern müsse seinen Beitrag leisten.

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Gyde Jensen, sagte dagegen: »Diese Studie ist ein deutliches Alarmzeichen an die Bundesländer, jetzt noch die notwendigen Weichen zu stellen.« Es seien strukturelle und längerfristige Strategien notwendig, man dürfe sich aber nicht verzetteln. »Wir brauchen auch die Offenheit, neue und kurzfristig wirksame Ideen, etwa in Bezug auf die Fachkräfteausbildung, zu diskutieren«, sagte sie.

© dpa-infocom, dpa:220705-99-910249/4