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Wut auf Vizekanzler Habeck - Tumulte am Fähranleger

Die Stimmung heizt sich auf: Blockierer verhindern an der Nordseeküste, dass Vizekanzler Habeck und andere Passagiere eine Fähre verlassen. Es kommt zu Tumulten. Die Aktion wirft Fragen auf.

Robert Habeck
Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert. Foto: Michael Kappeler/DPA
Bauern haben Vizekanzler Robert Habeck in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre gehindert.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Tumultartige Szene an der Nordsee: Wütende Demonstranten hindern am Donnerstag im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel Passagiere einer Fähre daran, an Land zu gehen. Ein Teil der Blockierer versucht das Schiff der Wyker Dampfschiffs-Reederei zu erstürmen. Ihr Wut richtet sich gegen den aus dem Norden stammenden Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Einige Polizisten mit Pfefferspray und das gerade noch rechtzeitige Ablegemanöver des Kapitäns verhindern Schlimmeres. Doch wer steckt hinter der Aktion?

Schleswig-Holsteins Bauernverband distanziert sich klar von der Aktion in Nordfriesland. Präsident Klaus-Peter Lucht treibt die Entwicklung um. »Wir merken, dass wir unterwandert werden sollten«, sagt der Funktionär. Der Protest der Landwirte richte sich gegen die geplanten Kürzungen der Bundesregierung. Mit der Aktion in Schlüttsiel habe der Verband nichts zu tun. Gewalt lehne er ab. »Wir wissen wirklich nicht, wer das organisiert hat.«

Der Unmut der Landwirte sei angesichts der Kürzungspläne der Bundesregierung groß, sagte Lucht. Die Vorfälle am Anleger hätten viele von ihnen aber aufgeweckt, denn so gehe es nicht. Die meisten Kollegen lehnten das Geschehene ab: »Nur einige wenige sagen: Das war alles richtig.«

Landwirte distanzieren sich

Auch der Vorsitzende des kleinen Landwirte-Verbands Land schafft Verbindung (LSV), Stefan Wendtland, sagt, man habe mit den Protesten in Schlüttsiel nichts zu tun. Er habe aber mit einem Teilnehmer aus der ersten Reihe gesprochen. »Da gab es unschöne Szenen.« In der Menschenmenge sei demnach ein gewisser Druck entstanden. Die Demonstranten hätten die Fähre aber nicht stürmen wollen.

Der Fähranleger liegt in der kleinen Gemeinde Ockholm. Dort gab es bereits frühzeitig Hinweise auf die Aktion. Initiiert worden sei das Ganze über die sozialen Medien, sagt Bürgermeister Matthias Feddersen. Die Gemeinde habe sich erkundigt, weil kursierende Infos, wonach sich Habeck vor Ort mit Bauern treffen wolle, für Fake News gehalten worden seien. Schließlich hätten sie die Polizei informiert. »Man kann ihn ja nicht ins offene Messer laufen lassen.«

Habeck äußert sich nach dem Vorfall beunruhigt über die Entwicklung: »Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt.« Protestieren sei in Deutschland ein hohes Gut. »Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut.«

Nach Polizeiangaben befinden sich bei Ankunft der Fähre bis 300 Menschen an dem Anleger, die Stimmung beschreiben die Beamten als angespannt. »In den sozialen Medien wurden Aufrufe zur Demonstration am Fähranleger Schlüttsiel verbreitet, an welchem Herr Dr. Habeck am Nachmittag eintreffen sollte«, berichtet die zuständige Polizeidirektion Flensburg.

»Keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen«

Habeck reist nach Angaben einer Ministeriumssprecherin von einem Privatbesuch von Hallig Hooge zurück zum Festland. Der Vizekanzler sei sehr gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen, weil er die Nöte kenne, sagt die Sprecherin. Aufgrund der Sicherheitslage sei es aber nicht zu einem Gespräch gekommen. Angebote, mit einzelnen Landwirten an Bord des Schiffes zu reden, hätten die Demonstranten abgelehnt. Wegen der Sicherheitslage sei es nicht möglich gewesen, zu den Menschen an Land zu gehen. Die Sicherheit Habecks sei nicht gewährleistet.

Neben Habeck können auch die anderen etwa 30 Passagiere das Schiff nicht verlassen. »Das ist aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang«, sagt der Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, Axel Meynköhn. Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können. Mit seinem Ablegemanöver habe der Kapitän im letzten Moment die Erstürmung der Fähre verhindert: »Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen, mit nicht auszudenkenden Folgen.« Das Schiff fährt dann wegen der Tumulte zurück zur Hallig Hooge. Erst in der Nacht zum Freitag erreicht der Vizekanzler wieder das Festland.

Die ehemalige Hooger Bürgermeisterin Katja Just kritisiert die Protestaktion, die auch ihre Feriengäste betroffen habe. »Diese Art und Weise der Konfrontation ist nicht zielführend, sondern schädlich, wenn Menschen bedroht werden«, sagt sie.

Steinmeier »schockiert«

Nach der Eskalation zeigt sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entsetzt. »Zu sehen, wie ein Minister auf einer privaten Reise von einer aggressiven Menschenmenge eingeschüchtert wird und sich nach Bedrohungen in Sicherheit begeben musste, hat viele in unserem Land schockiert, auch mich. Das dürfen wir nicht hinnehmen«, sagte Steinmeier der »Bild«.

Demonstrationen gehörten zur Demokratie, und Kritik an der Regierung sei legitim, sagte das Staatsoberhaupt. »Aufrufe zu Hass und Gewalt überschreiten jedoch die Grenze dessen, was gerechtfertigt ist.« Wer so handele, verletze die Grundregeln der Demokratie und schade seiner eigenen Sache.

Aufgeheizte Stimmung gegen Politiker im Land

Die Protestaktion gegen Habeck kommt nur wenige Stunden, nachdem auch Bundeskanzler Olaf Scholz sich bittere Vorwürfe von Bürgern anhören muss. Bei einem Besuch im Hochwasser-Gebiet in Sachsen-Anhalt wird der SPD-Politiker am Donnerstag mit Rufen wie »Geh' gleich wieder zurück« empfangen.

Die miese Stimmung im Land bekommen die Ampel-Politiker zugleich schwarz auf weiß im jüngsten ARD-Deutschlandtrend: Nur noch 19 Prozent der von Infratest dimap Befragten äußern sich zufrieden über die Arbeit des Kanzlers, der niedrigste Wert für einen Regierungschef seit 1997. Habeck liegt mit 24 Prozent nur wenig besser und knapp vor Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit 23 Prozent.

Da hat sich mit dem Hin und Her in der Energie- und Haushaltspolitik großer Ärger aufgestaut. Aber die Art und Weise des Protests schockt offenbar auch erfahrene Politiker. Fast normal ist für sie inzwischen, auf öffentlichen Kundgebungen Sprechchöre wie »Kriegstreiber«, »Versager« oder »Lügner« zu hören, wie es Scholz immer wieder passiert. Eine andere Qualität hat es, wenn Amtsträger in einer Situation als Privatperson angegangen werden.

Beobachter fühlten sich nach dem Ansturm auf Habecks Fähre an einen Fackelzug zum Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) während der Corona-Pandemie 2021 erinnert. Auch damals sagten Politikerinnen und Politiker parteiübergreifend, das sei kein legitimer Protest, sondern Einschüchterung. Habeck sagt, er habe als Minister Polizeischutz, aber andere müssten »Angriffe allein abwehren«. Sie seien »die Helden und Heldinnen der Demokratie«.

© dpa-infocom, dpa:240105-99-496043/31