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WHO rechnet Freitag mit Grenzöffnung in Rafah

Der Versorgung der Menschen im Gazastreifen droht der Kollaps. Israel will nun Ägypten erlauben, in begrenztem Umfang humanitäre Hilfe zu liefern. Doch der Übergang Rafah war zunächst weiter geschlossen.

Nahostkonflikt - Al-Ahli-Klinik
Die verwüstete Al-Ahli-Klinik in Gaza-Stadt. Foto: Mohammad Abu Elsebah/DPA
Die verwüstete Al-Ahli-Klinik in Gaza-Stadt.
Foto: Mohammad Abu Elsebah/DPA

Nach 13 Tagen völliger Abriegelung und massiver israelischer Luftangriffe als Reaktion auf den Hamas-Großangriff hat sich die Versorgungslage für die mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens weiter verschlechtert. Der britische Premierminister Rishi Sunak begrüßte bei einem Kurzbesuch in Israel, dass die Regierung in Jerusalem der Lieferung humanitärer Hilfsgüter von Ägypten aus über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen zugestimmt habe. Die erhoffte Öffnung von Rafah ließ aber zunächst weiter auf sich warten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet damit, dass der Grenzübergang Rafah von Ägypten in den Gazastreifen für dringend nötige Hilfslieferungen am Freitag geöffnet wird. Das sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. »Unsere Lastwagen sind beladen und bereit zur Abfahrt«, sagte Tedros. »Wir stehen mit der ägyptischen und der palästinensischen Rothalbmondgesellschaft bereit, das Material in den Gazastreifen zu bringen, sobald der Grenzübergang offen ist, hoffentlich morgen.«

Israels Armee greift erneut Ziele der Hisbollah im Libanon an

Das israelische Militär hat in der Nacht erneut Stellungen der pro-iranischen Hisbollah im Libanon sowie mutmaßliche Terroristen dort angegriffen. Als Reaktion auf Beschuss der schiitschen Miliz am Mittwoch habe die Armee unter anderem Beobachtungsposten der Hisbollah attackiert, teilte das Militär mit. Zudem habe ein Kampfjet drei Menschen getroffen, die versucht hätten, Raketen in Richtung Israel abzufeuern. Unklar war zunächst, ob es dabei Verletzte oder Tote gab.

Zuvor war bei Feuergefechten an der libanesisch-israelischen Grenze laut der UN-Mission Unifil ein Mensch im Libanon ums Leben gekommen.

Westliche Politiker bemühen sich um Entschärfung

Vor einer möglichen Bodenoffensive der israelischen Armee in den Gazastreifen zur Zerschlagung der Hamas setzten westliche Politiker unterdessen ihre Bemühungen fort, eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. Hunderte Hamas-Terroristen hatten am 7. Oktober Israel überfallen und das schlimmste Massaker unter israelischen Zivilisten seit der Staatsgründung 1948 angerichtet.

Dabei, bei Kämpfen und durch Raketenbeschuss starben mehr als 1400 Menschen in Israel, mehr als 4600 wurden verletzt. Israel mobilisierte daraufhin 300.000 Reservisten und zog starke Kampftruppen an der Gazagrenze zusammen. Bei israelischen Luftangriffen starben seit dem 7. Oktober nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen 3785 Menschen und rund 13.000 wurden verletzt.

Baerbock startet zu Krisengesprächen

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock brach angesichts des Gaza-Kriegs zu einer neuen Runde von Krisengesprächen nach Jordanien, Israel und in den Libanon auf. Vor dem Flug nach Jordanien sicherte sie Israel die »unverbrüchliche Solidarität« der Bundesregierung zu. »Der Kampf gilt der Hamas, nicht der palästinensischen Zivilbevölkerung« - auch diese leide enorm, fügte Baerbock jedoch hinzu. »Schon viel zu viele Frauen, Männer und Kinder sind gestorben.« Ihr sei daher wichtig, den Palästinenserinnen und Palästinensern deutlich zu machen, »dass wir auch ihr Leid sehen«. Sie wolle die Reise auch nutzen, um sich für die Freilassung der Hamas-Geiseln einzusetzen, unter denen auch Deutsche sind.

Auch Pistorius im Libanon und in Israel

Verteidigungsminister Boris Pistorius reiste zu Gesprächen über die militärische Zusammenarbeit nach Israel. Der SPD-Politiker wollte dort seinen israelischen Kollegen Joav Galant treffen. Nach dem Großangriff der islamistischen Hamas auf Israel soll die Reise ein Zeichen der Solidarität setzen. Erwartet wurde, dass die beiden auch über die von Israel erbetene Lieferung von Material für die Streitkräfte sprechen, darunter Sanitätsausrüstung. Pistorius war zuvor im Libanon, wo er deutsche Soldaten traf, die dort für die UN-Mission Unifil im Einsatz sind.

Netanjahu zu Sunak: Dunkelste Stunde Israels

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte bei einem Treffen mit Sunak in Tel Aviv, vor Israel liege ein langer Krieg. »Dies ist unsere dunkelste Stunde. Es ist die dunkelste Stunde der Welt. Wir müssen zusammenhalten und gewinnen«, betonte Netanjahu. Es werde Höhen und Tiefen geben, es werde Schwierigkeiten geben. Ein langer Krieg liege vor Israel. »Wir brauchen Ihre kontinuierliche Unterstützung.« Dies sei nicht nur Israels Kampf, sagte der Regierungschef. »Es ist der Kampf der freien Welt, der Kampf um die Zukunft.« Es sei ein Kampf gegen »die modernen Barbaren, die schlimmsten Monster auf dem Planeten«. Sunak sagte, sein Land stehe an der Seite Israels. »Und wir wollen auch, dass Sie gewinnen«, betonte der britische Premier, der anschließend nach Saudi-Arabien weiterreisen wollte.

Britischer Außenminister auf dem Weg in die Region

Der britische Außenminister James Cleverly kündigte indes eine Reise in strategisch wichtige Staaten der Region an. Er wolle Partner in Ägypten, Katar und der Türkei treffen, teilte sein Ministerium in London auf X mit. Ziel der dreitägigen Reise seien Bemühungen, um eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. »Es ist in niemandes Interesse - weder der Israelis, der Palästinenser noch des weiteren Nahen Ostens - dass andere in den Konflikt hineingezogen werden«, hatte Cleverly vorab mitgeteilt. Dabei geht es vor allem um die wie die Hamas mit dem Iran verbündete Schiitenmiliz Hisbollah, die vom Libanon aus an Israels Nordgrenze eine zweite Front eröffnen könnte. Seit Tagen kommt es dort immer wieder zu Gefechten und Beschuss, bei dem schon auf beiden Seiten Menschen starben.

Rund 165 Lastwagen mit Hilfsgütern stauen sich vor Rafah

Israel hatte nach dem Besuch von US-Präsident Joe Biden am Vortag einer Öffnung von Rafah für die Lieferung von Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten zugestimmt. Treibstoff, der für die Erzeugung von Strom notwendig ist und auf den die überfüllten Krankenhäuser im Gazastreifen dringend angewiesen sind, wurde nicht erwähnt. Am Donnerstag stauten sich rund 165 Lastwagen mit humanitären Versorgungsgütern auf ägyptischer Seite vor dem Übergang Rafah. Nach ägyptischen Angaben mussten zunächst Zufahrtsstraßen repariert werden, die durch Luftangriffe beschädigt worden seien. UN-Generalsekretär António Guterres wollte bei einem Besuch in Kario nach UN-Angaben mit Staatschef Abdel Fattah al-Sisi über die Öffnung von Rafah sprechen.

Eine Million Bewohner des Gazastreifens in den Süden geflohen

Nach UN-Angaben sind in den vergangenen Tagen rund eine Million Bewohner des nördlichen Gazastreifens in den südlichen Teil des Gebiets geflohen. Israels Armee, die dazu aufgerufen hatte, um zivile Opfer bei einer Ausweitung der Kämpfe zu vermeiden, sprach von rund 600.000 Menschen. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths forderte einen »sofortigen, sicheren Zugang für humanitäre Hilfe im gesamten Gazastreifen«. Er wies vor allem auf die extreme Wasserknappheit hin. Die Menschen seien zunehmend gezwungen, sich aus unsicheren Quellen zu versorgen, wodurch die Bevölkerung dem Risiko von durch Wasser übertragenen Krankheiten ausgesetzt sei.

Scholz kündigt »klare Kante« gegen Antisemitismus an

Bundeskanzler Olaf Scholz hat angesichts der teils gewalttätigen Ausschreitungen in Deutschland Härte im Kampf gegen Antisemitismus versprochen. Zugleich verlangte der SPD-Politiker am Donnerstag im Bundestag erneut die sofortige Freilassung der Hamas-Geiseln im Gazastreifen. In seiner Regierungserklärung kurz nach Rückkehr von einer Israel-Reise ging Scholz auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin für dessen Äußerungen zum Gaza-Krieg scharf an. Aus der Opposition bekam der Bundeskanzler seltenes Lob.

© dpa-infocom, dpa:231019-99-617612/22