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Weniger Hilfe, noch mehr Hass? EU-Streit über Nahost-Politik

Hilft Deutschland der Hamas, wenn es Entwicklungshilfen für die Palästinenser einfriert? Die jüngsten Kommentare von EU-Ratspräsident Charles Michel dürften in Berlin für Diskussionen sorgen.

EU-Kommission
EU-Flaggen wehen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel. Foto: Arne Immanuel Bänsch/DPA
EU-Flaggen wehen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel.
Foto: Arne Immanuel Bänsch/DPA

In der EU gibt es heftigen Streit über die richtige Reaktion auf den Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel. EU-Ratspräsident Charles Michel kritisierte gestern Abend mit deutlichen Worten die deutsche Entscheidung, die Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten vorübergehend auszusetzen.

Der Belgier warnte, ein Stopp von dringend benötigter Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe für palästinensische Zivilisten könnte von der Hamas ausgenutzt werden und Spannungen und Hass verschärfen.

Schwere Spannungen gab es wegen des gleichen Themas auch innerhalb der EU-Kommission von Ursula von der Leyen. Die Behörde musste deswegen gestern Abend sogar Ankündigungen zum Einfrieren von Entwicklungshilfezahlungen relativieren. Demnach werden nicht wie zuvor von dem zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi angekündigt, alle Zahlungen sofort ausgesetzt.

Am Abend hieß es aus Kommissionskreisen, es sei tatsächlich vereinbart worden, bis zum Abschluss einer Überprüfung der Hilfen keine Gelder auszuzahlen. Es sei aber auch richtig, dass derzeit keine Zahlungen anstünden.

Der Ungar Varhelyi hatte die Entscheidung demnach eigenmächtig und voreilig kommuniziert. Ursprünglich soll vorgesehen gewesen sein, zunächst die Mitgliedstaaten zu informieren, damit das Thema dann auch bei dem für heute geplanten Sondertreffen der Außenminister mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell besprochen werden kann.

Borrell, der auch Mitglied der EU-Kommission ist, hatte nach der nicht abgesprochenen Mitteilung Varhelyis auf eine Klarstellung gedrungen. Im Anschluss schrieb er, die Aussetzung von Zahlungen wäre aus seiner Sicht einer Bestrafung des gesamten palästinensischen Volkes gleichgekommen und hätte den EU-Interessen in der Region geschadet. Zudem wären die Terroristen nur noch mehr ermutigt worden.

Analyse: Keine direkte oder indirekte Finanzierung

Gegen eine Aussetzung von Zahlungen spricht aus Sicht von Borrell auch eine erste Analyse, nach der bereits jetzt sehr klar sei, dass die EU weder direkt noch indirekt die Aktivitäten der Hamas oder anderer Terrororganisationen finanziert. Aus dem Umfeld Borrells hieß es in der Nacht, die Meinung des EU-Außenbeauftragten zur Aussetzung von Zahlungen werde von einer »signifikanten Anzahl an EU-Mitgliedstaaten und internationalen Partnern« geteilt.

Relevant sind die Diskussionen, weil die EU und ihre Mitgliedstaaten nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Beitrag von etwa 600 Millionen Euro pro Jahr der größte Geldgeber der Palästinenser sind. Allein aus dem EU-Haushalt waren für den Zeitraum 2021 bis 2024 Finanzhilfen von 1,18 Milliarden Euro vorgesehen.

Gesundheitssektor, Sozialhilfeleistungen, Entwicklungsprojekte

Mit der EU-Hilfe für die Palästinenser werden nach Kommissionsangaben vom Montag bislang vor allem die Finanzierung wichtiger Unterstützungsleistungen für die palästinensische Bevölkerung sowie die der Autonomiebehörde gefördert.

Als konkrete Beispiele nennt die Behörde den Gesundheitssektor, Sozialhilfeleistungen für arme Familien sowie Entwicklungsprojekte in Bereichen wie demokratische Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Wasser, Energie und wirtschaftliche Entwicklung. Zudem wird auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten unterstützt.

Wie es mit den Hilfen langfristig weiter geht, wird vermutlich frühestens nach der Überprüfung der EU-Kommission entschieden. Dass alle Zahlungen eingestellt werden, gilt dabei als äußerst unwahrscheinlich. Die gestern erfolgten Ankündigungen zum Einfrieren von Zahlungen seien vor allem auch als politisches Unterstützungssignal an Israel zu interpretieren, sagte eine ranghohe EU-Diplomatin. Es sei aus ihrer Sicht auch nicht damit zu rechnen, dass Deutschland die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten am Ende vollständig stoppe.

Entwicklungsministerium prüft Finanzhilfe an Palästinenserhilfswerk

Das Entwicklungsministerium prüft auch seine Zahlungen an das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA). »Wir werden bei der Überprüfung aber nach Prioritäten vorgehen und schnell entscheiden, sobald in diesem Bereich Zahlungen notwendig werden. Denn wir wollen nicht riskieren, dass sich die Lage vor Ort für vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder oder Flüchtlinge noch weiter verschlimmert«, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Am Vortag war erklärt worden, dass die Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten »vorübergehend ausgesetzt« würden.

© dpa-infocom, dpa:231009-99-502256/9