Angesichts der Bedrohungslage in Europa und der Personalnot der Bundeswehr macht die CDU eine Kehrtwende bei der Aussetzung der Wehrpflicht. Diese soll schrittweise wieder aufgehoben werden, wie der CDU-Bundesparteitag in Berlin entschied.
»Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen«, heißt es im neuen Grundsatzprogramm unter dem Titel »in Freiheit leben - Deutschland sicher in die Zukunft führen«, das die Delegierten am Abend einstimmig beschlossen. Ergänzend wurde hinzugefügt: »Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht.«
CSU-Chef Markus Söder begrüßte diesen Beschluss bei seinem Parteitagsauftritt. »Das Bekenntnis zur Wehrpflicht ist ein wichtiges Bekenntnis zur Stärkung der Bundeswehr, aber auch, um jungen Menschen (...) wieder eine stärkere Bindung zu unserem demokratischen Rechtsstaat zu geben«, sagte er.
Merz und Söder demonstrieren Zusammenhalt
Gemeinsam mit CDU-Chef Friedrich Merz demonstrierte der bayerische Ministerpräsident vor den anstehenden Wahlen Geschlossenheit. Man werde die Frage der Kanzlerkandidatur gemeinsam lösen, betonte er. »Natürlich ist ein CDU-Parteivorsitzender immer Favorit, das ist historisch eindeutig so.« Man werde sich an den vereinbarten Zeitplan halten.
»Ich verspreche Euch: An mir wird der Erfolg 2025 nicht scheitern«, sagte Söder, der wegen seiner Querschüsse im Wahlkampf 2021 für das Wahldesaster der Union bei der vergangenen Bundestagswahl mitverantwortlich gemacht wird. »Wir werden nächstes Jahr zusammen das rocken und die Bundesregierung jetzt, die Ampel, ablösen«, versprach der CSU-Chef nun.
Merz sagte: »Diese Union steht fest zusammen.« Man sei fest entschlossen, erst die Europawahl im Juni und dann die drei Landtagswahlen im September zu gewinnen und dann in das große Bundestagswahljahr 2025 zu gehen. Söder betonte, CDU und CSU seien zwei Parteien, aber ein großes Team. Die Ampel habe ihre Chance gehabt, sie habe gezeigt, dass sie es nicht könne. »Lasst uns anfangen, den Deutschen zu sagen, es kann alles wieder besser werden. Lasst uns anfangen, den Deutschen zu sagen, wir wollen dieses Land wieder auf Erfolgskurs führen.«
Wehrpflicht und Pflicht-Gesellschaftsjahr
Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr hatte bereits der CDU-Parteitag vor zwei Jahren in Hannover beschlossen. Im Entwurf des Grundsatzprogramms hieß es zunächst: »Um den Personal- und Kompetenzbedarf der Streitkräfte langfristig zu sichern, darf es auch nach der Aussetzung der Wehrpflicht keine Denkverbote für die Zukunft geben. Das Konzept eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres soll auch den Streitkräften unseres Landes zugutekommen.«
Unter anderem die Junge Union brachte aber einen Änderungsantrag für eine Wehrpflicht ein. »Wir leben in einem Land, das sich im Notfall nicht gegen Aggression von außen verteidigen kann«, sagte JU-Chef Johannes Winkel. Dies sei ein unhaltbarer Zustand. »Wir dürfen die Verteidigung unserer Demokratie nicht weiter dem Prinzip Hoffnung überlassen.« Für ein Signal zur Wiedereinführung der Wehrpflicht warb auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Dies wäre auch »ein sichtbares Zeichen an Russland« und andere, dass Deutschland zur Verteidigung des Landes bereit sei.
Die Antragskommission legte nach mehreren Wortmeldungen eine geänderte Formulierung vor, die mit großer Mehrheit angekommen wurde. Bei der Kontingentwehrpflicht sollen Fachleute der Bundeswehr jeweils festlegen, wie hoch der Personalbedarf für ein Jahr ist. Nur wer zur Deckung des Personalbedarfs gebraucht werde, werde dann auch eingezogen, erläuterte JU-Chef Winkel.
Die Wehrpflicht war in Deutschland 2011 nach 55 Jahren unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt worden. Das kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle nötigen Strukturen für eine Wehrpflicht wie Kreiswehrersatzämter aufgelöst. Gesetzlich festgelegt ist aber weiter, dass die Wehrpflicht für Männer im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder aufleben soll.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt derzeit wegen der veränderten Sicherheitslage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Modelle einer Dienstpflicht prüfen, darunter das schwedische Wehrpflichtmodell. Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, aber nur ein Teil leistet Grundwehrdienst. Dies gleicht dem von der CDU beschlossenen Konzept.
Islam und Leitkultur
Andere, zunächst als kritisch angesehene Passagen des Grundsatzprogramms blieben in den Beratungen unbeanstandet. So beschloss der Parteitag ohne Diskussion den Passus zum Islam: »Muslime, die unsere Werte teilen, sind Teil der religiösen Vielfalt Deutschlands und unserer Gesellschaft.« Und: »Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.« Keine Debatte gab es auch zu den Passagen über eine »Leitkultur«. Dazu zählt die CDU die Grund- und Menschenrechte, Respekt und Toleranz, Kenntnisse der Sprache und Geschichte, das Anerkennen des Existenzrechts Israels. Nur wer sich zur Leitkultur bekenne, könne Deutscher werden.
Merz will mit neuem Programm Wechselwähler erreichen
Laut Parteichef Merz will die CDU mit ihrem neuen Grundsatzprogramm vor allem Wechselwähler von sich überzeugen. »Wir müssen über unsere eigenen Mitglieder hinaus, auch über unsere festen Wählerinnen und Wähler hinaus diejenigen erreichen, und deren Zahl wird größer, die bei allen Wahlen neu entscheiden, wen sie wählen sollen«, sagte er. »An die ist dieses Grundsatzprogramm in ganz besonderer Weise gerichtet.« Merz sprach von einem historischen Tag für die CDU. Auf der Basis werde nun das Wahlprogramm erarbeitet.
Daneben habe das Programm auch die Funktion einer »Selbstvergewisserung einer Partei nach innen«, sagte Merz. »Wir müssen von uns selber wissen, wer wir sind, wo wir stehen, was wir wollen. Das ist uns gelungen.« Das Programm solle daneben ein »kraftvolles Zeichen und Signal nach außen« sein. »Es gibt Orientierung, es gibt Halt, es gibt den Menschen auch Zuversicht in unsicherer Zeit.« Dies sei die wichtigste Aufgabe der Union.
Zum knapp 70 Seiten langen Entwurf des Grundsatzprogramms lagen den 1001 Delegierten 2120 Änderungsanträge vor. Es löst das Programm von 2007 ab. Mit der Verabschiedung des insgesamt vierten Grundsatzprogramms in der Parteigeschichte wollte die CDU ihre inhaltliche Erneuerung nach dem Desaster bei der Bundestagswahl 2021 abschließen.
CDU zum Grundsatzprogrammprozess
Konrad-Adenauer-Stiftung zu den CDU-Grundsatzprogrammen
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