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Wehrbeauftragte fordert mehr Tempo bei Milliarden-Programmen

Wird die Vollausstattung der Bundeswehr gelingen oder wird alles wie immer, nur mit viel mehr Geld? Die Wehrbeauftragte zeigt auf, wo es anders laufen könnte - auch in Sachen Außendarstellung der Truppe.

Eva Högl
Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) im Interview mit der dpa. Foto: Michael Kappeler
Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) im Interview mit der dpa.
Foto: Michael Kappeler

Die Wehrbeauftragte Eva Högl fordert einen regelmäßigen Report zur Modernisierung der Bundeswehr aus dem vom Parlament beschlossenen 100-Milliarden-Sondertopf für Waffen und Ausrüstung. Um bei der Vollausstattung der Streitkräfte schneller voranzukommen, sollte zudem mindestens zeitweise auf das bestehende, komplizierte Regelwerk verzichtet werden, sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

»Die 100 Milliarden Euro dürfen nicht in den vorhandenen Strukturen und Verfahren vergeben werden. Dann kommen wir nicht vorwärts«, so Högl. Es sei am Verteidigungsministerium, einen Vorschlag zu machen.

Viele Gespräche mit Soldaten

Die Wehrbeauftragte hilft nach Artikel 45b des Grundgesetzes dem Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. Sie gilt aber auch als Anwältin der Soldaten, die sich jederzeit an sie wenden können. Högl hat die Standorte der Bundeswehr besucht und viel Zeit auf Gespräche mit Soldaten verwendet. Sie sagte: »100 Tage im Jahr, also ein Drittel des Jahres, bin ich unterwegs.«

In den Streitkräften gibt es nach ihrer Einschätzung eine große und berechtigte Erwartung, dass die Vollausstattung nun schnell vorankommt. In der Corona-Pandemie sei Deutschland in der Lage gewesen, ein Regelwerk sehr schnell zu verändern. »Wir haben jetzt eine Lage, es gibt einen Krieg in der Ukraine, wir müssen unsere Regeln anpassen. Und das heißt nicht mehr und noch komplizierter, sondern mit Nachdruck beschleunigen und entschlacken. Man kann das zeitlich befristet und europäisch vereinbaren«, sagte sie.

Und: »Ohne ein gesondertes Regelwerk für diese Situation werden wir die 100 Milliarden Euro nicht so zügig und konzentriert ausgeben können, wie das notwendig ist.« Im Bundestag sei das mehrheitsfähig.

Högl: Fände »Zeitenwende-Report« sinnvoll

Zugleich will die Wehrbeauftragte mehr Transparenz und einen regelmäßig aktualisierten Bericht dazu, wofür die 100 Milliarden Euro ausgegeben werden, was bestellt ist und was erreicht wurde. Högl: »Wir haben so etwas ja beispielsweise bei den Unterstützungsleistungen für die Ukraine. So eine regelmäßige Bestandsaufnahme, einen Zeitenwende-Report, fände ich für das Thema Sondervermögen sinnvoll.«

Es habe schon einige gute Schritte gegeben, wie das Beschaffungsbeschleunigungsgesetz, die Nutzung von Ausnahmen im europäischen Vergaberecht im Falle staatlicher Sicherheitsinteressen (»Artikel 346 AEUV«) sowie höhere Schwellenwerte für die freihändige Vergabe von 1000 auf 5000 Euro.

Die Wehrbeauftragte mahnte, den Blick nicht nur auf die Ausrüstung, sondern verstärkt auch auf das Personal zu richten. »Wir reden sehr viel über Material, aber der Knackpunkt ist das Personal, die Bundeswehr besteht zuallererst aus 182.000 Soldatinnen und Soldaten«, sagte sie. Sie erlebe die Bundeswehr als sehr belastet. Högl: »Im Jahresbericht der Wehrbeauftragten steht seit Jahren: 20.000 Dienstposten sind nicht besetzt und an vielen Stellen ist nicht die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Dienstposten.«

Realistisches Bild statt Hochglanzplakate

Die Wehrbeauftragte rät auch zu einer Überprüfung des Werbeauftritts der Bundeswehr, der ein realistisches Bild des Dienstes zeigen müsse. Die Hochglanzplakate sind in den vergangenen Jahren teils ohne Bezug zum Dienst an der Waffe ausgekommen, auch die Sprache wurden geändert.

So wurde für die Position eines Panzerkommandant mit »Teamleitung (m/w/d) Panzertruppe« geworben. Die Feldwebel-Laufbahn in der Eliteeinheit KSK wird derzeit als »Teamleitung Kommando Spezialkräfte« (»Sie leiten einen Kommandotrupp sowohl in der Ausbildung als auch im Einsatz.«) angeboten, obwohl überhaupt nur die Kampfschwimmer der Marine direkte Bewerber aus dem Zivilleben akzeptieren.

»Was ich kritisiere ist, dass in den vergangenen Jahren häufig so getan wurde, als sei Soldatin und Soldat ein ganz normaler Job. Das ist es nicht«, sagte Högl. »Es muss eine ehrliche Werbung geben, die klar macht, was das bedeutet.« Nach ihrer Erfahrung komme es bei jungen Leuten »viel weniger auf die bunten Bildchen und Filmchen an«, als auf Berichte von Bekannten und Verwandten.

»Also: Plakate, Werbekampagnen und Youtube-Videos sind richtig und wichtig, aber die besten Werbeträger für die Bundeswehr sind die Soldatinnen und Soldaten selbst. Deswegen sind die Rahmenbedingungen so wichtig.« Es helfe nichts, die Bundeswehr attraktiv darzustellen, wenn die Frauen und Männer, die dann zur Truppe kommen, etwas ganz anderes vor Ort vorfänden.

Um mögliche Gefechtssituationen nicht »drum herumreden«

»Und seit dem 24. Februar ist es noch wichtiger zu sagen, dass es darum geht, gegen einen Gegner im Gefecht zu bestehen. Im Zweifel stehen die Soldatinnen und Soldaten mit ihrem Leben und ihrer körperlichen Unversehrtheit für den Auftrag ein. Da darf man nicht drum herumreden und das darf auch nicht wegdiskutiert werden«, sagte Högl. Der Dienst im Militär sei kein Arbeitsplatz in der Kfz-Werkstatt oder in der Verwaltung.

Högl: »Wir haben mit rund 18 Prozent sehr hohe Abbrecherquoten derer, die in den ersten sechs Monaten die Bundeswehr wieder verlassen. Eine realistischere Beschreibung reduziert auch die Abbrecherquoten, davon bin ich überzeugt.«

Die große Herausforderung wird nach Ansicht der Wehrbeauftragten sein: »Gewinnen wir genügend Leute für die Bundeswehr?« Högl: »Das Ministerium hält noch an dem Plan fest, 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 zu haben. Das ist sehr sportlich und wird ein ganz schöner Kraftakt. Ich habe Zweifel, ob dieses Ziel überhaupt noch realistisch ist.«

© dpa-infocom, dpa:221227-99-31329/4