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Wegner nach Zitterpartie neuer Berliner Regierungschef

Statt Rot-Rot-Grün heißt es in Berlin nun Schwarz-Rot: Der CDU-Politiker Kai Wegner ist neuer Regierender Bürgermeister der Bundeshauptstadt. Aber sein Start verläuft nicht gerade glatt.

Kai Wegner und Franziska Giffey
Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ernennt seine Vorgängerin Franziska Giffey (SPD) zur Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Foto: Annette Riedl
Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ernennt seine Vorgängerin Franziska Giffey (SPD) zur Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe.
Foto: Annette Riedl

Nach längerer Zitterpartie ist der CDU-Politiker Kai Wegner neuer Regierender Bürgermeister von Berlin. Zweimal verfehlte der 50-Jährige gestern bei der Wahl im Abgeordnetenhaus die Mehrheit, obwohl seine CDU und ihr Koalitionspartner SPD über genügend Mandate verfügen. Im dritten Wahlgang reichte es für Wegner.

Er erhielt 86 Stimmen - über so viele Mandate verfügen CDU und SPD im Landesparlament. In der Abstimmungsrunde erklärte die AfD ihre Unterstützung für Wegner. Ob - und wenn ja wie viele - AfD-Abgeordnete letztlich für den CDU-Mann stimmten, lässt sich angesichts der geheimen Wahl nicht mit Sicherheit sagen. Doch kam heftige Kritik an den Regierungsparteien von Grünen und Linken. Wegner selbst sagte am Abend, er lasse sich nicht beirren.

Wegner mit klarer Ansage zur AfD

»Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will«, sagte der neue Regierungschef in einem RBB-Spezial. »Sie will das nutzen. Weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass die AfD einen Regierenden Bürgermeister wählt, der die größte AfD-Jägerin aus ganz Deutschland nach Berlin holt. Von daher ist das 'ne Taktik, 'ne Strategie.« Mit »AfD-Jägerin« dürfte Wegner sich auf die neue Justizsenatorin Felor Badenberg beziehen, die zuvor im Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete und sich auch um die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall kümmerte.

Die neue Koalition aus CDU und SPD verfügt über 86 Stimmen und die Opposition aus Grünen, Linken und AfD über 73. Die Mehrheit lag bei 80 Stimmen. Im ersten Wahlgang bekam Wegner zunächst 71 Stimmen, im zweiten Anlauf 79. Erst im dritten Wahlgang kamen 86 Stimmen für Wegner zusammen. Er übernahm unmittelbar nach seiner Wahl die Amtsgeschäfte im Roten Rathaus von der SPD-Politikerin Franziska Giffey. Die zehn Senatorinnen und Senatoren des neuen schwarz-roten Senats wurden vereidigt.

Widerstände gegen Schwarz-Rot in den eigenen Reihen

Giffey hatte nach einer Schlappe bei der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl im Februar die Koalition mit Grünen und Linken beendet, auf das Amt der Regierenden Bürgermeisterin verzichtet und ein Bündnis mit der CDU geschmiedet. Doch gibt es in der SPD Widerstände gegen Schwarz-Rot.

Politiker von CDU und SPD hatten sich nach dem zweimaligen Scheitern Wegners gegenseitig die Schuld für das Wahl-Debakel zugewiesen. Wegner sprach am Abend im RBB von offenkundigen Abweichlern bei CDU und SPD. Es gehe nun darum, durch gute Arbeit zu überzeugen.

Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Am Ende hat es funktioniert mit einer eigenen Mehrheit von 86 Stimmen." Dass drei Wahlgänge nötig gewesen seien, sei nicht schön. "Aber es ist nicht das erste Mal, dass es nicht im ersten oder zweiten Wahlgang funktioniert", sagte Saleh. "Die Verfassung sieht ja genau deshalb drei Wahlgänge vor. Aber ich hätte mir natürlich etwas anderes gewünscht.

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang schrieb auf Twitter: »Die SPD und die CDU in Berlin haben der Stadt, der Demokratie und der politischen Kultur heute großen Schaden zugefügt, indem sie ohne sichere Mehrheit in den dritten Wahlgang gegangen sind - und so zugelassen haben, dass die AfD die Wahl Wegners für sich reklamieren kann.« Jan Korte, Linken-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, schrieb: »Wegner lässt sich ohne Skrupel vereidigen, trotz des Verdachts, Regierender Bürgermeister von Gnaden der AfD-Faschos zu sein.«

Zur Frage, wie viele Stimmen es aus ihrer Fraktion gegeben habe, sagte AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker der dpa: »Gehen Sie mal von der Hälfte aus.« Auf dpa-Nachfrage zur geheimen Wahl gaben zunächst fünf der 17 AfD-Parlamentarier an, für Wegner gestimmt zu haben.

Die dramatisch verlaufene Abstimmung weckte Erinnerungen an die Wahl des früheren Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) im Jahr 2006. Der SPD-Politiker war damals erst im zweiten Wahlgang mit der knappsten Mehrheit von einer Stimme wiedergewählt worden. Parallelen wurden auch gezogen zur Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich in Thüringen, der 2020 mit Stimmen von CDU und AfD für kurze Zeit Ministerpräsident von Thüringen wurde.

Berlin zuletzt 2001 mit CDU-Bürgermeister

Wegner ist der erste Regierende Bürgermeister aus Reihen der CDU nach Eberhard Diepgen, der dieses Amt bis Juni 2001 innehatte. Seither hatte stets die SPD im Roten Rathaus das Sagen, seit 2016 in einer Koalition mit Grünen und Linken. Die Berliner CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus wählte am Abend Dirk Stettner zu ihrem neuen Vorsitzenden.

Wegner sieht die Koalition mit der SPD nach eigenen Worten als Vernunftehe. Im Koalitionsvertrag vereinbart sind unter anderem ein milliardenschweres Klimaschutzprogramm, eine Reform der Verwaltung, eine bessere Ausstattung für Polizei und Feuerwehr und ein deutliches Vorankommen beim Wohnungsbau. Die Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung will Wegner zur Chefsache machen. Vorgängerin Giffey übernimmt im neuen Senat den Posten der Wirtschaftssenatorin.

© dpa-infocom, dpa:230427-99-479273/2