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Was die Europawahl für die Bundespolitik bedeutet

Die Niederlande haben bereits gewählt - jetzt wird es auch in den restlichen Ländern ernst. Erste Ergebnisse gibt es aber erst am späten Sonntagabend - das liegt an einem bestimmten EU-Land.

Europawahl
Ein vorläufiges Ergebnis für Deutschland bei der bevorstehenden Europawahl soll bereits am frühen Montagmorgen nach der Wahl am 09. Juni veröffentlicht werden. Das endgültige Ergebnis wird am 3. Juli bekanntgegeben. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Ein vorläufiges Ergebnis für Deutschland bei der bevorstehenden Europawahl soll bereits am frühen Montagmorgen nach der Wahl am 09. Juni veröffentlicht werden. Das endgültige Ergebnis wird am 3. Juli bekanntgegeben.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

BERLIN. Wer steuert künftig die Europapolitik von Straßburg und Brüssel aus? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Wahl, zu der am Sonntag in Deutschland rund 65 Millionen Menschen aufgerufen sind. Die erste und einzige bundesweite Abstimmung zwischen den Bundestagswahlen 2021 und 2025 wird aber auch ein Gradmesser für die politische Lage in Berlin sein.

Wird die Ampel-Regierung nach zweieinhalb Regierungsjahren wirklich so hart abgestraft, wie es die Umfragen vermuten lassen? Wie stark wird die AfD? Und wie verläuft die Wahl-Premiere der neuen Partei von Sahra Wagenknecht? Nicht zuletzt könnte die Wahl dann auch noch von Bedeutung für eine Kanzlerkandidatur sein.

Crashtest für die Ampel: Wie schneiden Scholz und Co. ab? 

Bei der Bundestagswahl 2021 sind die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP zusammen noch auf knapp 52 Prozent gekommen. Nach zweieinhalb Regierungsjahren bringen sie es in den Umfragen zur Europawahl jetzt nur noch auf 31 bis 33 Prozent. Die Frage ist also: Wie bitter wird der Wahlabend für die Ampel?

Die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon bei der Europawahl 2019 mit 15,8 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung eingefahren. Wenn sie das diesmal unterbietet, was den Umfragen zufolge durchaus möglich erscheint, müsste sich das auch Scholz ankreiden lassen. Er hat sich im Wahlkampf bewusst neben Spitzenkandidatin Katarina Barley in die erste Reihe gestellt, hat sich mit ihr zusammen plakatieren lassen und ist bei mehreren Großveranstaltungen aufgetreten. Zuletzt haben Wahlniederlagen der SPD auf Landesebene allerdings nicht zu größeren Diskussionen über Parteikurs oder Kanzler geführt. Sie wurden stillschweigend ertragen. Mal sehen, ob das im Fall einer weiteren historischen Schlappe so bleibt. 

Die höchste Fallhöhe von den Ampel-Parteien haben allerdings die Grünen mit einem Ergebnis von 20,5 Prozent bei der vorherigen Europawahl. In den Umfragen liegen sie jetzt bei 13 bis 15 Prozent. Ob die Partei das selbst gesetzte Ziel erreicht, vor der AfD zu landen, bleibt abzuwarten. Dass die Grünen Frust über eine mögliche Wahlschlappe an der Koalition auslassen, ist aber eher nicht zu erwarten. Die Partei steht bei allen Querelen eisern zur Ampel und der eigenen Regierungsverantwortung. 

Als Reaktion auf verlorene Wahlen hat zuletzt am ehesten die FDP Ärger im Regierungsbündnis gemacht. Und die Liberalen könnten die ohnehin schon sehr bescheidenen 5,4 Prozent der letzten Wahl noch unterbieten, obwohl sie mit der Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine hochkarätige Spitzenkandidatin aufgestellt haben. In den Umfragen liegen sie bei 4 bis 5 Prozent. 

Hilft ein Wahlsieg Merz auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur?

Die Union sieht in der ersten bundesweiten Wahl seit ihrem Desaster bei der Bundestagswahl 2021 auch eine Chance, ihr Comeback zu demonstrieren. Laut den Umfragen mit stabilen Werten um 30 Prozent hat die Union alle Chancen, stärkste Kraft zu werden. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder dürften das Ergebnis am Wahlabend unter anderem als Plebiszit gegen die Politik der Ampel-Regierung von Kanzler Scholz werten. 

Der Anfang Mai mit fast 90 Prozent erstmals als CDU-Chef bestätigte Merz könnte ein Resultat in dieser Region auch als Zeichen für seine gefestigte interne Machtposition auslegen. Zurückhalten dürften sich die Unions-Granden bei der Interpretation, ob aus der Europawahl ein Signal oder gar eine Vorentscheidung für die unionsinterne K-Frage herauszulesen ist. Zum einen gilt Merz vielen ohnehin als wahrscheinlichster Kanzlerkandidat - wenn er denn will. Als weitere mögliche Aspiranten gelten nach wie vor Söder und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Die Union will ihre Kanzlerkandidatenfrage nach den im September anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg klären. 

Wie stark wird der Rechtsruck?

Wie in ganz Europa stellt sich auch in Deutschland die Frage, wie stark die rechten Parteien werden. Die AfD kann mit Zugewinnen rechnen, allerdings wohl weniger stark, als es noch vor einigen Monaten möglich schien. Zum Jahresbeginn sah es noch so aus, als ob sie ihr Wahlergebnis der letzten Europawahl von 11 Prozent dieses Mal verdoppeln könnte. Dann kamen die Großdemonstrationen nach Berichten über ein rechtes Treffen in Potsdam und wochenlange Schlagzeilen über mögliche Russland- und China-Verstrickungen der beiden AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron. Zuletzt stand die AfD in den Umfragen bei 14 bis 17 Prozent. Unklar ist, welchen Einfluss die Messerattacke von Mannheim gut eine Woche vor der Wahl noch auf das AfD-Ergebnis haben könnte.

Interessant wird auch, ob die AfD ihre Position auf der untersten politischen Ebene stärken kann. Parallel zur Europawahl finden in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt. In Thüringen hatte die AfD vor zwei Wochen bei der Kommunalwahl in vielen Kreistagen und Stadträten zum Teil deutlich hinzugewonnen. Dort gibt es an diesem Sonntag noch Stichwahlen zur Besetzung zahlreicher Landrats- und Oberbürgermeisterposten.

Besteht die Wagenknecht-Partei ihre erste Bewährungsprobe? 

Für das im Januar gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht ist die Europawahl die erste Bewährungsprobe. Im Wahlkampf war die Parteigründerin die zentrale Figur - obwohl sie selbst gar nicht für das Europaparlament kandidiert. Seit 15. Mai hatte die 54-Jährige in einer »Sahra Kommt«-Tour bundesweit allein 18 Kundgebungen, die nach Parteiangaben jeweils mehrere Hundert Menschen anzog. Frieden in der Ukraine, Heizungsgesetz und Verbrennerverbot, Rente, Migration - Wagenknecht legt ihren Finger mit teils schriller Kritik an der Ampel-Koalition auf die gesellschaftlichen Druckpunkte, und ihre Anhängerinnen und Anhänger sind oft begeistert. 

Trotzdem schien Wagenknecht zuletzt etwas unsicher, wie sehr ihre Partei bei ihrer ersten Wahl wirklich punkten kann. Noch im Herbst 2023 hatte sie gesagt, sie hoffe bei der Europawahl auf ein zweistelliges Ergebnis. Jetzt sagt sie: »Ich hoffe auf fünf Prozent plus. Das wäre ein sensationeller Erfolg für eine Partei, die sechs Monate alt ist.« Umfragen sahen das BSW zuletzt tatsächlich bei fünf bis sieben Prozent.

© dpa-infocom, dpa:240607-99-305654/3