Mit der zeitlichen Verortung von Sommer und Herbst ist es so eine Sache: Meteorologen etwa lassen den Herbst 2024 schon am 1. September beginnen. Der kalendarische Herbstbeginn wird dagegen der 22. September um 14.43 Uhr MESZ sein. Und dann gibt es noch regionale Eigenheiten wie in München, wo der Herbst - gefühlt - immer mit dem Ende der Wiesn beginnt, im kommenden Jahr also am 6. Oktober. So banal die generelle Terminfrage auch ist, dank der Union ist der Wechsel der Jahreszeiten im kommenden Jahr nun ein Politikum.
Schuld daran ist niemand Geringeres als die Chefs von CDU und CSU persönlich, Friedrich Merz und Markus Söder. Beide haben zur Frage, wann die Union ihren Kanzlerkandidaten küren soll, in den vergangenen Tagen ein Paradebeispiel für missverständliche Kommunikation gegeben: Während der bayerische Ministerpräsident sich am Sonntag in der ARD »frühestens« für den Herbst aussprach, hält Merz weiter am zuvor auch von Söder »im Konsens« getragenen Spätsommer fest - also ziemlich genau ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl.
Blick richtet sich auf drei Ost-Landtagswahlen
Die ganze Sache wäre einfacher, ginge es nur um den Termin. Doch in der besagten Zeitspanne finden drei Ost-Landtagswahlen statt, deren Ausgang für die Personalie nicht unerheblich ist. Am 1. September wird in Sachsen und voraussichtlich auch in Thüringen ein neuer Landtag gewählt, am 22. September in Brandenburg. Und in fast allen Meinungsumfragen liegt die AfD vorn. Die CDU und mit ihr auch alle anderen Parteien müssen ein Desaster befürchten.
Würde die Union ihren Spitzenmann - eine Frau ist nicht in Sicht - vor diesen drei Wahlen auf den Schild heben, bestünde die Gefahr, ihn durch schlechte Wahlergebnisse zu verheizen. So sieht es auch Söder, der im frühen Termin »wenig Sinn« erkennt und glaubt, »dass wir die Ergebnisse dieser Landtagswahlen sehr, sehr sensibel und sehr genau analysieren müssen und daraus möglicherweise auch gute Argumente für die Personalfrage finden«.
Dagegen spricht Merz noch immer am liebsten unpräzise vom Spätsommer und will darin aber auch keinen Dissens zu Söder sehen. Nachdem er den neuen Terminvorschlag am Montag auch auf Nachfrage nicht kommentieren will, steuert er am Dienstag nach: »Der Spätsommer reicht bis Ende September«, sagt er im Deutschlandfunk. »Und 17.30 Uhr und halb sechs sind dieselbe Uhrzeit. Und wenn der eine 17.30 Uhr sagt und der andere halb sechs, dann ist das kein Widerspruch.«
Ungelöste K-Frage kann zu Problemen führen
Doch genau den meinen auch in den Schwesterparteien einige erkennen zu können: Für sie war und ist zwar weniger entscheidend, ob Sommer oder Herbst, wohl aber »gefühlt« war klar, dass die Kür vor den Ost-Wahlen und eben nicht erst danach erfolgen sollte. Öffentlich äußern will sich niemand in der Union dazu, dazu sei das Thema auch noch zu weit weg, es gebe derzeit wichtigere Themen als diese interne Debatte, heißt es. Fakt ist aber, und das hat die Union schon im Machtkampf von Söder und Armin Laschet 2021 schmerzhaft erfahren: Eine ungelöste K-Frage kann am Ende ungewollte Kräfte freisetzen und so in der Folge auch zu Wahlniederlagen beitragen.
Wer am Ende von der Union Kanzler Olaf Scholz (SPD) herausfordern wird, ist dem Vernehmen nach völlig offen. Sollte Merz als CDU-Chef wollen, habe er das Erstzugriffsrecht, heißt es auch aus der CSU. Allerdings wird unter der Hand bei dem Thema auch in beiden Parteien inzwischen immer häufiger ein Fragezeichen hinter Merz gemacht und gefragt, ob er sich nicht längst selbst aus dem Rennen genommen habe.
Kritik an Merz wegen AfD-Debatte
Gerne wird dann etwa auf die von ihm ausgelöste Debatte um die Zusammenarbeit von CDU und AfD auf kommunaler Ebene verwiesen, die derartige Kreise zog, dass sie das Ergebnis einer Präsidiumssitzung von CDU und CSU zur Wirtschaftspolitik überlagerte. Hinzu komme, so heißt es aus beiden Parteien, dass Merz in Umfragen extrem schlecht dastehe, verglichen mit Söder oder etwa dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Hendrik Wüst. Kritiker von Merz sehen bei ihm gar Defizite bei der Parteiführung, es fehlten eine neue Linie, eine Strategie gerade für den Osten.
Und dann können im Lauf des Jahres 2024 noch weitere Unwägbarkeiten die K-Suche beeinflussen: Sollte die CDU, die sich als die deutsche Europapartei schlechthin versteht, am 9. Juni bei den Wahlen zum Europaparlament versagen, würde dies Merz angekreidet werden. Am selben Tag finden möglicherweise in 9 von 16 Bundesländern - nicht in Bayern - Kommunalwahlen statt, die schon wegen ihrer Zahl ein weiterer Stimmungstest für die CDU und ihren Chef sein werden.
Für Söder wird es bereits am 8. Oktober ernst - dann muss er für die CSU bei der Landtagswahl im Freistaat ein besseres Ergebnis als 2018 holen. Parteiintern sehen viele die 40-Prozent-Marke als Minimum für das Attribut »erfolgreich«. Würde dann die CDU die drei Wahlen im Osten vergeigen, könnte das Pendel in Richtung des CSU-Chefs ausschlagen. Umgekehrt gilt aber genauso: Sollte die CDU im Osten besser als derzeit vorhergesagt abschneiden - wer wollte Merz die Kandidatur streitig machen? Doch von derartigen Luxusproblemen ist die Union im Sommer 2023 weit entfernt.
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