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Wahlpleite verschärft Krise für Boris Johnson

Erstmals seit Jahrzehnten verlieren die Konservativen von Boris Johnson zwei Londoner Bezirke an die Labour-Partei. Und auch anderswo sprechen die Zahlen der Kommunalwahl gegen den Premier. Ist es der Anfang vom Ende?

Boris Johnson
Boris Johnson konnte sich schon mehrfach aus aussichtslos erscheinenden Lagen befreien. Foto: Matt Dunham
Boris Johnson konnte sich schon mehrfach aus aussichtslos erscheinenden Lagen befreien.
Foto: Matt Dunham

Nun geht es um Boris Johnsons Kopf. Tief sitzt der Schock in seiner Konservativen Partei über spektakuläre Verluste bei der Kommunalwahl.

Das schwache Abschneiden der Tories vor allem in London wird dem Premierminister persönlich angekreidet, an der Basis brodelt es. Laut spekulieren Parteikollegen bereits über einen Führungswechsel. Für das ohnehin erschütterte Vertrauen in Johnson - Stichwort »Partygate« - ist das Wahlergebnis ein neuer Schlag.

Westminster als Waterloo?

Um die Dimension des Wahlausgangs deutlich zu machen, bemühen Kommentatoren das bisweilen überstrapazierte Wörtchen »historisch«. In diesem Fall zu Recht, denn historisch ist es in der Tat, was in London passiert ist. Erstmals seit Jahrzehnten hat die Labour-Partei, national in der Opposition, den Tories die Bezirke Westminster und Wandsworth entrissen.

Ausgerechnet in Westminster, wo er selbst seine Stimme abgegeben hat, könnte Johnson sein persönliches Waterloo erleiden. Der Bezirk hat hohen symbolischen Wert. Zwischen Big Ben und Downing Street schlägt das Herz der britischen Demokratie, die Gegend ist beliebt bei Touristen und begehrt bei Politikern. Künftig hat Labour - zumindest lokalpolitisch - die Kontrolle im Regierungsviertel.

»Aufgewacht zu katastrophalen Ergebnissen für die Partei in London«, twitterte Gavin Barwell, einst Stabschef von Johnsons Vorgängerin und Parteikollegin Theresa May und nun Mitglied des Oberhauses. Die Niederlage sei ein »Weckruf« für die Tories.

Auf der Hand liegt, dass die Wähler die Tories vor allem für die jüngsten Skandale abstraften, wie auch der Tory-Parteichef in Wandsworth, Ravi Govindia, bemerkte. Landauf, landab klagten Konservative, dass die »Partygate«-Affäre um Lockdown-Feiern im Regierungssitz, aber auch Sexismus-Vorwürfe gegen die Partei von kommunalen Fragen abgelenkt hätten.

Vielerorts versuchten sich Kandidaten von Johnson und dem Geschehen in Westminster zu distanzieren. Der Premier tauchte nicht auf Wahlwerbung auf, viele betonten ihre enge Bindung an den Ort. Geholfen hat es häufig nicht. Nach Auszählung von gut der Hälfte der 146 Bezirke, in denen in England gewählt wurde, hatten die Tories im Vergleich zum vorigen Mal bereits 120 Sitze verloren.

Auch in Schottland steuerten die Konservativen auf eine deutliche Niederlage zu. Während Labour-Chef Keir Starmer sich in London als strahlender Sieger präsentierte und mit Blick auf die für 2024 geplante Parlamentswahl eine Wende ausrief, gab sich der oft so forsche Johnson demütig.

Vertrauen zurückgewinnen

Die Partei müsse sich mehr um die Dinge kümmern, die den Menschen wichtig seien, räumte er ein - und dass »eine harte Nacht in einigen Teilen des Landes« hinter seinen Tories liege. Johnson, seit 2019 dank eines furiosen Wahlsiegs mit großer Mehrheit im Parlament, will nun Vertrauen zurückgewinnen. Doch die Frage ist, ob seine Partei ihm das zutraut.

Eine Möglichkeit, Vertrauen wieder herzustellen, sei ein Führungswechsel, drohte der Tory-Abgeordnete David Simmonds unverhohlen. Zum Höhepunkt der »Partygate«-Affäre hatten sich bereits mehrere konservative Parlamentarier gegen Johnson ausgesprochen, nun könnte die Zahl der Revoluzzer zunehmen.

Doch Johnson, der mit Abstand als bester Wahlkämpfer seiner Partei gilt, steht nicht zum ersten Mal unter Druck. Bereits mehrmals konnte sich der 57-Jährige aus aussichtslos erscheinenden Lagen befreien. Und auch jetzt sprechen einige Punkte für ihn.

»Die Partei hat nicht die Katastrophe erlitten, die den Druck so sehr erhöht hätte, dass Johnson zurücktreten müsste«, sagte der Politologe Mark Garnett der Deutschen Presse-Agentur. Zwar gab es auch außerhalb von London Niederlagen. Doch hier konnten meist die kleineren Liberaldemokraten profitieren und nicht Labour.

Ermittlungen gegen Labour-Chef Keir Starmer

Damit dürfte das Ergebnis - auf Landesebene hochgerechnet - für die Tories nicht so heftig ausfallen wie befürchtet. Labour-Chef Starmer könne nicht mal davon träumen, die Regierung zu leiten, zitierte die Nachrichtenagentur PA eine Quelle in der Downing Street. Zumal Starmer nun selbst wegen eines möglichen Bruchs der Corona-Regeln im Fokus von Polizeiermittlungen steht.

Die Polizei teilte am Freitag überraschend mit, wegen neuer »bedeutsamer Informationen« eine Zusammenkunft in einem Labour-Büro im nordenglischen Durham im vergangenen Jahr nun doch noch genauer zu prüfen. Das dürfte den Labour-Jubel rasch dämpfen.

Und noch etwas spricht für den Premier, wie Garnett sagte: »Es gibt immer noch keinen geeigneten Ersatz für Johnson.« Zudem könnten seine Anhänger argumentieren, dass es ein Fehler wäre, in Zeiten einer internationalen Krise wie dem Ukraine-Krieg einen Führungswettbewerb zu veranstalten. Keinesfalls auszuschließen also, dass Johnson, dem oft mehr Leben einer Katze als jedem anderen Politiker nachgesagt werden, auch diesmal wieder auf den Füßen landet.

Tweet Gavin Barwell

»Telegraph«-Bericht zu möglichen Polizeiermittlungen gegen Labour-Chef Starmer

© dpa-infocom, dpa:220506-99-177658/5