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Wagner-Chef Prigoschin stellt Putin bloß

Mit ihrer Revolte legt die Privatarmee Wagner die Schwächen des Machtapparats in Moskau offen. Kremlchef Putin wittert »Verrat« - und muss eine Niederlage hinnehmen. Wie stark ist seine Position noch?

Jewgeni Prigoschin
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, bei einer Videoansprache. Foto: Uncredited/DPA
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, bei einer Videoansprache.
Foto: Uncredited/DPA

Ihren Marsch nach Moskau mit Panzern und Tausenden Söldnern hat die russische Privatarmee Wagner gestoppt. Etwa 200 Kilometer vor der Hauptstadt pfiff Söldnerchef Jewgeni Prigoschin am Samstagabend seine Truppen zurück - ebenso plötzlich, wie die Blitzrevolte begonnen hatte. Auch aus Rostow am Don, wo sie das regionale Hauptquartier der Armee und einen Flughafen besetzt hatten, zogen die Wagner-Leute ab.

Prigoschins Verbindung mit Wladimir Putin ist nun zerrissen. Der Ex-Vertraute, wie Putin aus St. Petersburg, muss nun Zuflucht im Nachbarland Belarus suchen. Der Kremlchef selbst wiederum beklagt einen »Stoß in den Rücken« und vor allem »Verrat« - mitten in seinem chaotischen Krieg gegen die Ukraine. Nach mehr als 23 Jahren an der Macht ist der 70-Jährige der große Verlierer der Wagner-Rebellion. Aber: Putin hat den Aufstand überlebt.

Prigoschin, dessen Söldner in Afrika, Syrien und eben auch in der Ukraine wichtige Erfolge für den Kreml verbuchten, ist Putin nun von der Fahne gegangen. Er kann künftig aus Belarus seine Söldneroperationen fortsetzen. Allerdings werden wichtige Teile seiner Truppen dem Verteidigungsministerium in Moskau untergeordnet.

Das Kapitel der Wagner-Armee in der Ukraine dürfte damit vorerst beendet sein - zur Erleichterung auch in Kiew, das die gut ausgebildeten Söldner als gefährliche Gegner sah. Die Ukraine setzte ihre Gegenoffensive im Schatten des bisher beispiellosen Machtkampfes in Russland, der eine weitere Schwächung Putins bedeutet, auch am Wochenende fort.

Freund oder nicht Freund

Doch Prigoschin brach nicht nur öffentlich mit seinem langjährigen Freund. Der 62-Jährige handelte ausgerechnet mit Alexander Lukaschenko in Belarus - die beiden kennen sich angeblich seit 20 Jahren - das Ende des Aufstandes aus. Putin sieht Lukaschenko eigentlich als Machthaber von seinen Gnaden. Nun kann sich Lukaschenko brüsten, ein »Blutbad« verhindert zu haben - und dem Kremlchef die Macht gesichert zu haben. Vorerst zumindest.

Dagegen schien Putin, der in einer Rede am Samstag einmal mehr vor einer Zerstörung Russlands warnte, zeitweilig kaum noch Herr der Lage zu sein. Militärfahrzeuge im Zentrum der Hauptstadt, die Ausrufung des Anti-Terror-Notstands in Moskau und Umgebung zeigten, wie groß die Angst im Kreml vor einem Umsturz und einer gewaltsamen Machtübernahme ist.

Ziel des Wagner-Chefs war es mit seinem Aufstand, sich vor allem bei Putin Gehör zu verschaffen. Seit Monaten schon prallen die kritischen Tiraden Prigoschins wegen der an Niederlagen reichen Kriegsführung in der Ukraine an den Kremlmauern ab. Der Wagner-Chef macht Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow für Missstände beim Militär verantwortlich, aber auch die schlechte Ausrüstung und vor allem den Tod von mehr als 10.000 Wagner-Söldnern.

Behauptung und Gegenbehauptung

Konkreter Auslöser des Aufstands aber war Prigoschins Vorwurf, das Verteidigungsministerium habe sogar einen Angriff auf eine Wagner-Stellung befohlen. Das Ministerium wies das zurück. Der mit einer vollwertigen Armee samt Panzern und Flugzeugen ausgestattete Prigoschin wollte verhindern, das Schoigu wie von oben befohlen die Privatarmee - wie etwa 40 andere Freiwilligenverbände - bis zum 1. Juli in die reguläre Armee eingliedert.

»Wir wollen nicht, dass das Land weiter in Korruption, Betrug und Bürokratie lebt«, sagte Prigoschin zu seinen Motiven. Allerdings hat er selbst seit Jahrzehnten gerade von diesem System profitiert. Vom Kreml erhielt er Milliardenaufträge, galt stets als der Unantastbare - auch wegen seiner Nähe zu Putin. Das ist nun vorbei. Dennoch bleiben Prigoschin und seine Aufständischen straffrei, obwohl sie während des Aufstands durch den Abschuss mehrerer Hubschrauber und eines Flugzeugs mindestens ein Dutzend Piloten getötet haben sollen.

Prigoschin hatte selbst einmal gedroht damit, dass er mit seinem Wissen und wohl auch reichlich Material dem Machtapparat großen Schaden zufügen könne. Niemand in Moskau zweifelte am Samstag während Prigoschins »Marsch der Gerechtigkeit« daran, dass Putin seinen langjährigen Vertrauten töten lassen würde, um selbst an der Macht zu bleiben.

Putins Macht erodiert

Was bleibt, ist aus Sicht der Politologin Tatjana Stanowaja eine weitere Erosion der Macht Putins. »Das ist eine gewaltige Niederlage für ihn«, schrieb sie bei Telegram. Prigoschin sei unterschätzt worden. Trotzdem habe er keine Verbündeten in der Elite oder eine echte Chance, die Macht an sich zu reißen. Putins Ressourcen hingegen seien weiter gewaltig.

Doch bereits seitdem unter anderem die russische Grenzregion Belgorod vom Gebiet der Ukraine immer wieder angegriffen und schwer beschossen wird, ist klar, dass Putins Gewaltmonopol erodiert. Viele Russen sehen sich nicht mehr ausreichend geschützt. Die Sicherheitsfragen griff auch Prigoschin immer wieder auf, weshalb seine Popularitätswerte in die Höhe schnellten.

Bei dem Wagner-Chef habe sich viel angestaut, was in Gesprächen mit Putin hätte gelöst werden können, schrieb der Politologe Abbas Galljamow am Sonntag in seinem Blog. Prigoschin habe aber keinen Zugang zum Präsidenten mehr gehabt. Deshalb sei er an die Öffentlichkeit gegangen. Ob Putin Konsequenzen zieht, ist offen. »Man darf kein hochzentralistisches System bilden und sich dann völlig von der Außenwelt abschotten«, meinte Galljamow. Der Kremlchef steht im Ruf, resistent gegen Beratung zu sein und den Kontakt zur Wirklichkeit verloren zu haben.

Präsidentenamt in Moskau und Verteidigungsministerium lehnten Prigoschins Forderungen, den Einsatz im Krieg gegen die Ukraine zu erhöhen, stets ab. Weder eine Verhängung des Kriegsrechts noch neue Mobilmachungen seien geplant, hieß es immer wieder. Die Ressourcen für den Kampf gegen die Ukraine seien auch so ausreichend. Der Kreml teilte nach Ende von Prigoschins Aufstand prompt mit, auf Russlands Kriegsziele in der Ukraine wirke sich die Situation nicht aus. Putin stehe weiter zu Verteidigungsminister Schoigu. Doch der Druck bleibt.

© dpa-infocom, dpa:230625-99-179793/5