Breitbeinig in Uniform und mit der russischen Flagge in der Hand - so hat der Chef der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, die Eroberung von Bachmut im Osten der Ukraine verkündet. »Wir haben komplett die ganze Stadt eingenommen«, sagte Prigoschin in einem am Samstag veröffentlichten Video. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite oder offizieller russischer Seite gab es zunächst nicht.
Stattdessen hieß es in Moskau und Kiew, die Kämpfe dauerten an. Es war nicht das erste Mal, dass Prigoschi Bachmut für erobert erklärte. Und einmal mehr kritisierte er auch die russische Militärführung.
»Wir haben nicht nur mit den Streitkräften der Ukraine gekämpft, sondern auch mit der russischen Bürokratie, die uns Knüppel zwischen die Beine geworfen hat«, sagte Prigoschin in dem Video. Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow hätten den »Krieg zu ihrem persönlichen Vergnügen« gemacht. Ihre Launen und die Militärbürokratie hätten dazu geführt, »dass fünf Mal so viele Soldaten gestorben sind wie hätten sterben müssen«, sagte der 61-Jährige.
Dank an Putin
Zugleich dankte er Präsident Wladimir Putin dafür, den Wagner-Kämpfern Gelegenheit gegeben zu haben, für Russland zu kämpfen. Das sei eine »große Ehre« gewesen, betonte Prigoschin, der als enger Vertrauter Putins gilt. Die Wagner-Truppe habe der »zerzausten russischen Armee geholfen, wieder zu sich zu finden«. Er wolle Bachmut nun den regulären Truppen überlassen.
Nach Darstellung Prigoschins kämpften die Wagner-Truppen seit dem 8. Oktober 224 Tage lang bei der »Operation Fleischwolf« - nun stehe eine Erholungsphase an. Wagner sei aber bereit, weiter für Russland zu kämpfen.
Mit Blick auf den Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beim G7-Gipfel der führenden demokratischen Wirtschaftsnationen in Japan tat Prigoschin kund, dass Kiew »tapfer und gut« gekämpft habe. Selenskyj solle US-Präsident Joe Biden Grüße ausrichten von der Wagner-Armee, der besten der Welt. In Richtung Moskau forderte er hingegen, jene zur Verantwortung zu ziehen, die die Schlacht um Bachmut durch das Zurückhalten von Munition, Material und Personal in die Länge gezogen hätten.
Es gebe Listen der Unterstützer und der Verhinderer, sagte Prigoschin. Zur Verstärkung für die Schlacht hatte er auch verurteilte Straftäter in russischen Gefängnissen angeworben. Er sagte, dass 23 Mal mehr Personal und 27 Mal mehr Munition nötig gewesen wären, um die Stadt mit einst mehr als 70.000 Einwohnern schneller einzunehmen. Die Schlacht gilt als die verlustreichste des seit 15 Monaten dauernden Krieges. Prigoschin erinnerte auch an die vielen Toten, ohne Zahlen zu nennen.
Ukraine dementiert
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar widersprach in Kiew mit den Worten, die »schweren Kämpfe« in Bachmut dauerten an. Sie gab zu: »Die Lage ist kritisch.« Die ukrainischen Streitkräfte verteidigten aber ihre Stellungen und kontrollierten einzelne Industrie- und Infrastrukturobjekte. Maljar hatte zuvor gesagt, dass das russische Militär mehrere Tausend Soldaten zur Verstärkung nach Bachmut verlegt habe.
»Der Feind kann nicht mit Qualität gewinnen, also versucht er es mit Quantität«, schrieb die stellvertretende Ministerin auf Facebook. »Die russischen Truppen greifen weiter unter hohen Verlusten an, die unsere Verluste unverhältnismäßig übersteigen.« In den vergangenen Tagen hatte die Ukraine auch von Geländegewinnen berichtet. Selenskyj hatte befohlen, das weitgehend zerstörte Bachmut nicht aufzugeben.
Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete ebenfalls anhaltende Kämpfe im westlichen Stadtgebiet von Bachmut sowie Luftschläge und Artilleriegefechte. Dem Gegner würden aber schwere Verluste zugefügt, die Eroberung des Westteils dauere an, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Die Ukraine will die seit dem Spätsommer umkämpfte Stadt nicht aufgeben, um einen Durchbruch der russischen Truppen weiter ins Landesinnere zu verhindern.
Bachmut ist der Hauptteil der nach der russischen Eroberung von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk etablierten Verteidigungslinie zwischen den Städten Siwersk und Bachmut im Donezker Gebiet. Falls die Stadt fallen sollte, würde sich für die russischen Truppen der Weg zu den Großstädten Slowjansk und Kramatorsk eröffnen. Damit würde eine von Russland geplante vollständige Eroberung des Donezker Gebiets näher rücken.
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