Sahra Wagenknecht will keinen Fehler machen: Die heißdiskutierte Frage, ob sie eine eigene Partei gründet, will die prominente Linke-Politikerin erst in den nächsten Monaten beantworten.
»Ich gehe davon aus, dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres die Entscheidungen fallen. Bis Ende des Jahres muss klar sein, wie es weitergeht«, sagte die 53-Jährige dem Nachrichtenportal »ZDFheute.de«. Die Linken-Spitze kritisierte die Äußerungen Wagenknechts scharf. Linke-Urgestein Gregor Gysi forderte seine Parteikollegin auf, sich bald zu entscheiden.
Keine »One-Woman-Show«
In dem Gespräch nennt Wagenknecht die Gründe für ihr vorsichtiges Vorgehen: »Die Erwartung, man könnte - selbst wenn man sich entschieden hätte - mal eben so eine Partei aus der Taufe heben, von einer Woche zur nächsten, das wäre zum Scheitern verurteilt.« Wagenknecht verweist auf nötige Strukturen, juristische Überlegungen und darauf, dass sie genügend Unterstützer bräuchte. Ein neues Projekt könne nur mit einem wirklich verlässlichen Team funktionieren, das ihr viele von den Dingen abnehme, für die sie schlicht kein Talent habe. »Als One-Woman-Show kann ich das nicht.«
Fremdeln mit politischem Handwerk
Wagenknecht ist eher eine intellektuelle Einzelkämpferin, die gerne Bücher schreibt. Mit dem eigentlichen politischen Handwerk tut sie sich nach eigener Aussage schwer. »Den Apparat zu beherrschen«, das sei ihr fremd, hat sie einmal gesagt - also etwa die Führung von Parteifreunden, das Pflegen von Netzwerken, das Trommeln für Unterstützung in Gesprächsrunden.
»Ich kann mir auch eine Perspektive als Schriftstellerin und Publizistin vorstellen«, sagt sie im Interview. »Aber ich möchte gerne politisch auch noch etwas bewegen, das sage ich ehrlich.« Doch vor der Entscheidung für »ein solches Projekt« will Wagenknecht sichergehen, dass es funktionieren kann. »Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließen.« Noch gut in Erinnerung ist ihr der gescheiterte Versuch, eine parteiübergreifende linke Sammlungsbewegung aufzubauen. Das 2018 gestartete Projekt »Aufstehen« zündete nicht.
Keine Zukunft mehr in der Linkspartei
In der Linkspartei selbst sieht Wagenknecht keine Zukunft mehr für sich. Anfang März hatte sie klargemacht, dass sie für die Linke nicht mehr für den Bundestag kandidieren wolle. Nach Ablauf dieser Legislaturperiode 2025 soll entweder Schluss sein mit der Politik »oder es ergibt sich politisch etwas Neues«.
Seit Jahren hadert sie mit ihrer Partei, diese aber genauso mit ihr. Einerseits ist Wagenknecht so etwas wie das prominente Aushängeschild der Linken und wird in jede Talkshow eingeladen, andererseits bürstet sie bei kontroversen Themen immer wieder gegen den Strich und den offiziellen Kurs der Partei: In der Flüchtlingspolitik sprach sie sich gegen offene Grenzen aus; sie äußerte sich bei Corona skeptisch zur Impfung; und in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« rechnete sie mit dem gender- und klimaengagierten Teil ihrer Partei ab.
Angebote von der AfD
Auch beim Thema Russland und Ukraine eckte Wagenknecht an, als sie der Bundesregierung einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vorwarf - was eins zu eins der Wortwahl von AfD-Chef Tino Chrupalla entspricht. Zuletzt hatte sie mit einem »Manifest für Frieden« gemeinsam mit Alice Schwarzer für Verhandlungen und Kompromisse »auf beiden Seiten« geworben und mobilisierte Tausende in Berlin bei einer Großdemo. Von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke bekam Wagenknecht eine Einladung, in die AfD einzutreten.
»Nicht die Partei ewig quälen«
Die Spitze der Linken kritisierte am Samstag die Gedankenspiele der Politikerin bezüglich einer möglichen Parteigründung: »Anzukündigen, dass man im Verlauf der nächsten Monate über die Bildung einer konkurrierenden Partei entscheiden will, ist verantwortungslos«, erklärten die Linken-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Die Linke sei angesichts von Krieg, Klimakrise, Inflation und Streiks mehr denn je gefordert. »Wir fordern alle auf, Spaltungsbestrebungen eine Absage zu erteilen«, fügten sie hinzu.
Daraufhin meldete sich die Linken-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann mit dem Vorwurf, Wissler und Schirdewan hätten völlig versagt. Die Vorsitzenden führten wie ihre Vorgänger einen »zerstörerischen Kampf gegen Sahra Wagenknecht«. Eine Parteigründung wäre nur konsequent, meinte Zimmermann. »Ich finde, es wird Zeit.« Was wohl vor allem den Grad der Zerrüttung in der Partei zeigt.
Wagenknechts Parteifreund Gregor Gysi kann sich nicht vorstellen, dass eine weitere Partei neben der Linken große Chancen hätte. Seiner Ansicht nach fehlt dafür in der Gesellschaft momentan die nötige »linke Stimmung«, wie er »ZDFheute.de« sagte. An Wagenknecht und mögliche Sympathisanten appellierte er: »Wenn Leute das vorhaben, dann sollen sie es schnell machen, und nicht die Partei ewig quälen.«
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