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Vor Scholz-Reise - Baerbock fordert neue China-Strategie

Wie weiter mit China? Diese ungeklärte Frage sorgt für Krach in der Ampel-Koalition. Bei seinem Peking-Besuch könnte Kanzler Scholz nun Tatsachen schaffen. Seine Außenministerin macht vorab Druck.

Annalena Baerbock
Außenministerin Annalena Baerbock pocht auf eine andere China-Politik. Foto: Fabian Sommer
Außenministerin Annalena Baerbock pocht auf eine andere China-Politik.
Foto: Fabian Sommer

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) dazu aufgefordert, sich bei seiner China-Reise an den Koalitionsvertrag zu halten. »Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden«, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag während ihrer Zentralasien-Reise in der usbekischen Hauptstadt Taschkent.

»Jetzt ist entscheidend, die Botschaften, die wir gemeinsam festgelegt haben im Koalitionsvertrag, die Botschaften, die ich auch hier mit nach Zentralasien gebracht habe, auch in China deutlich zu machen.«

Auch Menschenrechtsorganisationen und Vertreter der Uiguren machen Druck auf Scholz. Der Weltkongress der überwiegend muslimischen Minderheit in China forderte den Kanzler auf, die Reise abzusagen. »Dies ist nicht die Zeit für einen freundlichen Dialog und business as usual«, sagte Präsident Dolkun Isa auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die überwiegend muslimischen Uiguren werfen der chinesischen Führung massive Unterdrückung und Internierung hunderttausender Menschen in Umerziehungslagern vor.

Baerbock: »In zunehmenden Maße systemischer Rivale«

Baerbock sagte, man müsse Peking deutlich machen, dass faire Wettbewerbsbedingungen, die Einhaltung von Menschenrechten und die Anerkennung des internationalen Rechts für Deutschland die Kooperationsgrundlage seien. »Bekanntermaßen haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgehalten, dass China für uns Partner bei globalen Fragen ist, dass wir uns nicht entkoppeln können in einer globalisierten Welt, dass China aber auch Wettbewerber und in zunehmendem Maße systemischer Rivale ist.« Auf diesem strategischen Verständnis müsse die Chinapolitik fußen.

Scholz wird an diesem Freitag begleitet von einer Wirtschaftsdelegation zu seinem Antrittsbesuch in Peking erwartet. Er wird der erste westliche Regierungschef sein, der Präsident Xi Jinping nach dessen Wiederwahl als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas besucht. Belastet wird die Reise durch Differenzen in der Ampel-Koalition über die Ausrichtung der China-Politik.

Krach um chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen

Scholz hatte vergangene Woche die Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an einem Terminal des Hamburger Hafens im Kabinett gegen den Widerstand mehrerer Minister von SPD, Grünen und FDP durchgesetzt. Baerbock hatte sich in einer Protokollnotiz von der Entscheidung distanziert. Sie sieht kritische Infrastruktur durch die chinesische Beteiligung gefährdet. Scholz hat keine Sicherheitsbedenken.

Im Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien darauf verständigt, eine neue China-Strategie zu entwickeln. »Wir wollen und müssen unsere Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten. Auf der Grundlage der Menschenrechte und des geltenden internationalen Rechts suchen wir die Kooperation mit China, wo immer möglich. Wir wollen im zunehmenden Wettbewerb mit China faire Spielregeln«, heißt es in dem Vertrag.

Uiguren: »Profit weiterhin über Menschenrechte«

Die Uiguren wandten sich in einem Brief an Scholz, um ihn zum Verzicht auf die Reise aufzufordern. Trotz der scharfen Kritik des UN-Menschenrechtsbüros am Vorgehen der chinesischen Führung gegen die Uiguren habe Scholz beschlossen, Xi »zu huldigen, und dabei das Leid von Millionen von Menschen völlig außer Acht zu lassen«, sagte Weltkongress-Präsident Isa. Der Besuch zusammen mit einer Wirtschaftsdelegation zeige, »dass für Deutschland der Profit weiterhin über den Menschenrechten steht«.

In Xinjiang gibt es seit langem Spannungen zwischen den herrschenden Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten. Die Uiguren beklagen kulturelle und religiöse Unterdrückung. Die Führung in Peking wirft ihnen Separatismus und Terrorismus vor. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen hatte im Sommer in einem Bericht mögliche »internationale Verbrechen, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit« gegen die Uiguren angeprangert.

Menschenrechtler: »Man muss miteinander sprechen«

Die Menschenrechtsorganisation Humans Rights Watch sprach sich anders als die Uiguren gegen eine Absage der Scholz-Reise aus. »Man muss miteinander sprechen«, sagte Deutschland-Direktor Wenzel Michalski. Scholz müsse das Thema Menschenrechte aber »mindestens so prominent« auf den Tisch bringen wie wirtschaftliche Interessen, forderte er.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker kritisierte, dass Scholz sich in der EU vor der Reise nicht ausreichend abgestimmt habe. »Ich gehe sehr stark davon aus, dass Herr Scholz sehr kleinlaut gegenüber Herrn Xi sein wird (...), wenn es um das Thema Menschenrechte geht«, sagte China-Referent Hanno Schedler.

© dpa-infocom, dpa:221101-99-343125/3