Anlässlich einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu den Nord-Stream-Explosionen hat dessen Vorsitzender Konstantin von Notz auf umfassende Unterrichtung gedrängt. »Es besteht ein grundsätzlicher Informationsbedarf«, sagte der Grünen-Politiker dem »Tagesspiegel« (Freitag). »Wir Abgeordnete erwarten einen Bericht des Generalbundesanwalts und wollen von der Bundesregierung umfänglich auf den aktuellen Stand gebracht werden.«
Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende Roderich Kiesewetter (CDU) im RTL/ntv-»Frühstart«: »Wir erwarten umfassende Berichte des Generalbundesanwalts, der Bundesregierung und auch der Dienste.«
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei »froh, dass die Ermittlungen voranschreiten«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin, Christiane Hoffmann, am Freitag in Berlin. Es sei »beeindruckend, dass da offensichtlich auch Fortschritte erzielt werden«, die viele anfangs nicht für möglich gehalten hätten. Zum Stand der Ermittlungen könne sie nichts sagen, da das Verfahren in der Verantwortung des Generalbundesanwalts liege.
Sitzung mit BND-Chef und Generalbundesanwalt
Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) war am Freitag zu einer Sondersitzung zusammengekommen, an der auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) teilnahm. Weitere Teilnehmer waren etwa Generalbundesanwalt Peter Frank, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, sowie der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen.
Die 13 Mitglieder des PKGr sind für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und tagen geheim. Die Abgeordneten dürfen über die Beratungen nichts nach außen tragen. Die Bundesregierung muss das Gremium über die Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichten. Nach Angaben des Bundestags kann das PKGr von ihr außerdem Berichte über weitere Vorgänge verlangen.
Ende September war es zu Explosionen in der Ostsee gekommen. Beide Stränge der Pipeline Nord Stream 1 und ein Strang von Nord Stream 2 schlugen leck. Die Gaspipelines verlaufen von Russland nach Deutschland. Ermittlern zufolge handelt es sich um einen Sabotageakt.
Von Notz mahnt zur Zurückhaltung
ARD, SWR und die »Zeit« hatten berichtet, dass eine sechsköpfige Gruppe eine Jacht angemietet und wohl darauf von Rostock aus den Sprengstoff zu den Pipelines befördert habe. Zwei der Personen hätten ukrainische Pässe. Eine Verbindung zu staatlichen Stellen lasse sich aber nicht herstellen. Mehrere Politiker hatten vor voreiligen Schlüssen gewarnt.
Von Notz empfahl im »Tagesspiegel«, »maximal zurückhaltend mit jedweden Rückschlüssen zu diesem Zeitpunkt« zu sein. Man habe es »sehr wahrscheinlich mit einem staatlichen oder quasi-staatlichen Akteur zu tun, weil es sehr anspruchsvoll ist, große Mengen von Sprengstoff - von bis zu zwei Tonnen ist jetzt die Rede - unerkannt an die richtige Stelle in der Ostsee zu transportieren, ihn in eine relevante Tiefe zu verbringen, um kontrolliert mehrere Explosionen auszulösen«. Von Notz sagte: »Ein Terrorakt mit staatlichem Hintergrund macht es wahrscheinlicher, dass falsche beziehungsweise auch Trugspuren gelegt wurden.« Entsprechend vorsichtig müsse man mit Zwischenständen umgehen: »Es wird ergebnisoffen ermittelt. Bisher gibt es aber keine Beweise.«
»Auskunftspflicht gegenüber Parlament und Öffentlichkeit«
Der Grünen-Politiker betonte, die Parlamentarier wollten als Kontrolleure der deutschen Nachrichtendienste »nachvollziehen können, ob sie effektiv und gut arbeiten, allen Hinweisen auf die Pipeline-Attentäter sachgerecht nachgehen und in angemessenem Umfang international kooperieren«, sagte von Notz dem »Tagesspiegel«. Man habe zwar »großes Verständnis, dass sorgfältige Ermittlungen Zeit brauchen. Es besteht aber auch eine Auskunftspflicht gegenüber Parlament und Öffentlichkeit.«
Kiesewetter wies ebenfalls auf den geringen Kenntnisstand hin. »So wie es aussieht, sind es staatliche oder quasi-staatliche Akteure«, sagte der CDU-Abgeordnete. Aber: »In diesem Informationskrieg werden auch bewusst falsche Spuren gelegt, deshalb sollten wir da ganz vorsichtig sein.« Er schließe niemanden aus, »übrigens auch nicht Russland«.
Selenskyj: Keine Ukrainer beteiligt
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies eine Beteiligung der Ukraine an der Sprengung als »lächerlich« zurück. »Ukrainer haben das definitiv nicht getan«, betonte der 45-Jährige am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin in Kiew. »Das ist lächerlich.« Ziel der Veröffentlichungen in deutschen und anderen westlichen Medien zur mutmaßlichen Beteiligung einer pro-ukrainischen Gruppe sei es, die westlichen Hilfe für die Ukraine im Kampf gegen Russland zu verlangsamen, sagte Selenskyj.
»Ich finde es sehr gefährlich, dass einige unabhängige Medien, vor denen ich immer große Achtung hatte, solche Schritte machen«, sagte der Präsident. Das spiele nur in die Hände Russlands oder gewisser Wirtschaftsgruppen, die gegen die Verhängung von Sanktionen sind.
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