Dieses Urteil kommt für viele Beobachter überraschend: Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Tschechien hat ein Gericht in Prag den aussichtsreichen Kandidaten und Ex-Ministerpräsidenten Andrej Babis in einem Prozess um EU-Subventionen freigesprochen. Der Gründer der populistischen Partei ANO reagierte triumphierend: »Das Gericht hat bestätigt, was ich von Anfang an sage: dass ich unschuldig bin.«
Wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Betrug hatte die Anklage drei Jahre Haft auf Bewährung für den Milliardär und Medienmogul gefordert. Der Freispruch in dem viel beachteten Prozess dürfte die Wahlchancen für Babis erhöhen. Eine Umfrage des Senders CNN Prima News vor dem Urteil hatte den 68-Jährigen mit 27,9 Prozent der Stimmen zuletzt auf dem ersten Platz gesehen.
Rund 8,3 Millionen Bürger des EU- und Nato-Mitgliedstaats sind aufgerufen, am 13. und 14. Januar einen Nachfolger von Milos Zeman zu bestimmen. Erreicht wie erwartet keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit, folgt die Stichwahl am 27. und 28. Januar.
In dem Prozess in Prag ging es um einen Fall, der Babis seit Jahren verfolgt. Im Mittelpunkt stand das Wellness-Resort »Storchennest«, das rund zwei Millionen Euro an EU-Geldern für kleine und mittlere Unternehmen beantragte. Babis überschrieb das Projekt seinen Kindern und engen Verwandten. Doch nach Ansicht der Anklage gehörte es faktisch der riesigen Babis-Firmenholding Agrofert - und hätte die Gelder nie bekommen dürfen.
Acht Bewerber bei der Präsidentschaftswahl
Neben Babis treten sieben weitere Bewerber bei der Präsidentschaftswahl an. Gute Chancen sagen Umfragen der Wirtschaftsprofessorin Danuse Nerudova voraus, die als einzige Frau in den Ring steigt. An einem verschneiten Winterabend kommen viele junge Menschen in die Kulturhalle der Stadt Beroun, 30 Kilometer südwestlich von Prag, um die 44-Jährige zu sehen.
Es sei ihr nicht egal, wie die Gesellschaft in ihrem Land aussehe, sagt Nerudova, die von 2018 bis 2022 die Universität in Brünn (Brno) leitete. »Ich biete Empathie an und die Fähigkeit, der anderen Seite die Hand zu reichen.« Tschechien müsse ein modernes Land werden, in dem jeder eine Chance auf Erfolg habe.
Manche sehen Parallelen zur slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova, die 2019 gewählt und jüngst für ihren Einsatz für die liberale Demokratie mit dem Friedenspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung ausgezeichnet wurde. Doch der Politologe Jiri Pehe dämpft die Erwartungen: »Caputova hatte ein klares Profil als zivilgesellschaftliche Aktivistin und Rechtsanwältin, wohingegen Nerudova keine so starke Lebensgeschichte vorweisen kann.«
Wahlkampf aus dem Wohnmobil
Nerudova geht auf der Videoplattform Tiktok mit Szenen aus ihrem Alltag auf Stimmenfang bei den jungen Menschen. Babis reist seit Monaten mit einem Wohnmobil durchs Land, gibt sich nach außen bescheiden. Ein anderer aussichtsreicher Kandidat, Ex-General Petr Pavel, zeigt sich als leidenschaftlicher Jogger und Motorradfahrer.
Im Gegensatz zu Babis spricht sich der 61-jährige Ex-Soldat für weitere Waffenlieferungen an Kiew aus. Sollte Russland in der Ukraine nicht verlieren, wäre das ein Risiko für die Zukunft, betont der frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses. Doch Pavel kämpft mit teils abstrusen Vorwürfen, er sei vor der Wende von 1989 zum kommunistischen Spion ausgebildet worden.
Während Pavel und Nerudova als eher proeuropäisch gelten, ging Babis schon als Regierungschef auf Konfrontationskurs mit Brüssel. Er kämpfte für »nationale Interessen« und lehnte den Euro ab. Im Wahlkampf traf er sich nun mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban an einem Grenzzaun zu Serbien, um vor den Gefahren illegaler Migration zu warnen. Dennoch beschwichtigt der Politologe Lukas Jelinek: »Europa muss vor Babis keine Angst haben - bei der Außenpolitik ist die Regierung am Drücker.«
Keine Glanzleistung im Schüler-Interview
Tatsächlich hat der tschechische Präsident laut Verfassung überwiegend repräsentative Aufgaben. Doch er gilt in öffentlichen Debatten als wichtiger Meinungsmacher. Er ist oberster Befehlshaber der Streitkräfte und ernennt die Verfassungsrichter. Der Präsident kann Gesetze an das Parlament zurückverweisen. Die Abgeordneten können sein Veto aber überstimmen.
Wie auch immer die Wahl ausgehen mag: Den Preis für die schwierigsten Fragen bekommt eine Schulklasse, die im TV-Sender Prima die Kandidaten befragen durfte. Von den Planeten des Sonnensystems konnte Andrej Babis nur zwei nennen. Auch das bekannteste Werk des Nationalschriftstellers Jaroslav Hasek - »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk« - sagte ihm nichts.
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