Im Streit um den Justizumbau in Israel wird das von dem Regierungsvorhaben selbst betroffene Oberste Gericht des Landes zunächst nicht eingreifen. Es werde sich erst im September mit Petitionen gegen ein im Zuge der umstrittenen Reform jüngst verabschiedetes Gesetz befassen, berichteten Medien. Die Richter verzichteten demnach darauf, anders als von einer Petition gefordert, das Gesetz direkt einzufrieren. Auch am Mittwoch kam es gegen den Justizumbau landesweit wieder zu Demonstrationen.
Das Gesetz, das die Handlungsfähigkeit des Obersten Gerichts einschränkt, ist inzwischen in Kraft getreten. Es gilt als erster Teil eines umfassenden Gesetzesvorhabens, das die Koalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seit Monaten vorantreibt. Kritiker sehen die Gewaltenteilung und damit Israels Demokratie massiv in Gefahr.
Ist ein Stopp der Justizreform noch möglich?
Richter können mit dem neuen Gesetz künftig Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister nicht mehr als »unangemessen« einstufen. Experten rechnen damit, dass damit etwa die willkürliche Besetzung entscheidender Positionen gefördert wird. Dies betrifft auch Posten wie den der Generalstaatsanwältin oder des Polizeichefs.
Oppositionsgruppen reichten sofort mehrere Petitionen gegen das Gesetz ein, das ihrer Meinung nach eine wichtige Kontrolle der Exekutivgewalt aufhebt. Offen ist, wie das Oberste Gericht auf diese Petitionen reagieren wird. Das neue Gesetz wird als Grundgesetz eingestuft. Bisher wurde in Israel noch nie ein Grundgesetz aufgehoben, sondern lediglich reguläre Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstoßen. Israel hat keine Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Sollte sich das Gericht gegen das Gesetz der Regierung stellen, könnte dies zu einer Art Verfassungskrise führen, da Zuständigkeiten nicht mehr klar geregelt wären.
Verhandlungen über Kompromiss?
Ein weiteres Kernelement der umstrittenen Justizreform soll Medienberichten zufolge im Herbst auf die Agenda rücken. Ende der Woche beginnt die Sitzungspause, das Parlament kommt dann Mitte Oktober wieder zusammen. Netanjahu kündigte an, auch in der Pause Gespräche mit der Opposition über einen Kompromiss führen zu wollen. Unklar ist, ob diese sich dazu bereit erklärt. Bisherige Gespräche blieben erfolglos. Präsident Izchak Herzog, der die Verhandlungen vermittelte, sagte, er gebe die Hoffnung auf eine Einigung nicht auf. »Selbst wenn die geringste Chance besteht, werden mein Team und ich weiter daran arbeiten, Barrieren abzubauen und Brücken zu bauen.«
Auswirkungen auf Wirtschaft
Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Wirtschaft sind bereits zu sehen. Nur einen Tag nach der Ankündigung stufte die Ratingagentur Morgan Stanley die Kreditwürdigkeit des Landes herab. Eine weitere Ratingagentur, Moody's, warnte vor negativen Folgen für Israels Wirtschaft angesichts der politischen und sozialen Spannungen. Auch die israelische Währung, der Schekel, verlor an Wert. Netanjahu und Finanzminister Bezalel Smotrich versuchten zu beschwichtigen. In einer gemeinsamen Mitteilung schrieben sie: »Dies ist eine vorübergehende Reaktion; wenn sich der Staub lichtet, wird klar sein, dass die israelische Wirtschaft sehr stark ist.«
Große Wirtschaftsunternehmen hatten in den vergangenen Monaten mehrfach gewarnt, die Reform könne Investoren abschrecken und der Wirtschaft schaden. Unternehmen der Hightech-Branche kündigten an, Gelder abzuziehen. Die dynamische Startup-Szene gilt als wichtigstes Zugpferd der israelischen Wirtschaft.
Israelis wollen auswandern
Auch in der Gesellschaft sorgen die umstrittenen Pläne für Ungewissheit. Laut einer jüngsten Umfrage des Senders Channel 13 überlegt mehr als jeder vierte Bürger (28 Prozent), das Land zu verlassen. Generell stehen laut einer weiteren Umfrage des Senders Channel 12 nur 22 Prozent der Menschen hinter den Plänen der Regierung.
Die Protestbewegung kündigte an, »bis zum Ende« demonstrieren zu wollen. Für Samstag ist erneut eine große Kundgebung in Tel Aviv geplant. Auch in weiteren Teilen des Landes soll es Aktionen geben. Israels Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert warnte bereits vor einem Bürgerkrieg, sollte die Regierung ihre Pläne nicht stoppen.
Sorge ums Israels Sicherheit
Ankündigungen von mehr als Zehntausend Reservisten, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, wecken zudem die Sorge, dass das Militär im Falle eines bewaffneten Konflikts nicht mehr ausreichend einsatzbereit wäre. Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Dienstag: »Dies ist ein allmählicher Prozess, der sich je nach Dienstantritt der Reservisten auswirken wird«. Aktuell sei das Militär »noch« kompetent. Nächste Woche will der Verteidigungsausschuss in einer Sondersitzung über mögliche Dienstverweigerungen beraten.
Seit Wochen kommt es etwa an der Grenze zum Libanon immer wieder zu Zwischenfällen zwischen Israel und der vom Iran unterstützten libanesischen Hisbollah-Miliz. Hisbollah-Chef, Hassan Nasrallah, sagte über die Entwicklungen in seinem Nachbarland: »Das ist es, was sie auf den Weg des Zusammenbruchs, der Fragmentierung und des Verschwindens bringt, so Gott will.«
Die USA kündigten derweil an, ihre hohen Militärhilfen an Israel trotz des begonnenen Umbaus der Justiz nicht zu kürzen. Es werde »keinen Stopp der Militärhilfen geben«, sagte US-Außenamtssprecher Vedant Patel. Die USA unterstützen Israel jährlich mit rund 3,8 Milliarden US-Dollar (knapp 3,5 Mrd. Euro).
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