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Viele offene Fragen - 2023 wird zum Renten-Zukunftsjahr

Was passiert mit dem Rentenalter? Sollen neue Steuermilliarden in die Rente fließen? Oder die Beiträge steigen? Im neuen Jahr stellt die Regierung Weichen bei der Rente. Noch ist die Lage überraschend gut.

Rente
Im kommenden Jahr geht es um zukunftsweisende Fragen für die Rente. Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Im kommenden Jahr geht es um zukunftsweisende Fragen für die Rente.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Bei der Rente geht es im neuen Jahr um die Zukunft. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will zeitnah ein Rentenpaket II vorlegen zur Absicherung der Rentenversicherung. »Die Herausforderungen, die jetzt vor uns sind ab 2025, sind unbestritten riesig«, meinte Heil im Dezember.

Deutschlands Arbeitgeber sind alarmiert. »Die Rente wird zum Bremsklotz für die wirtschaftliche Zukunft unserer Nation«, warnt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Dulger fordert eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters. Wie dramatisch ist die Lage - und welche Möglichkeiten gibt es?

Das Problem:

Heil erläuterte im Dezember vor Vertreterinnen und Vertretern der Rentenversicherung: »Die Babyboomer werden 2025 fortfolgend in Rente gehen, die geburtenstarken Jahrgänge, die vor 1964 Geborenen.« Also gibt es immer mehr Empfängerinnen und Empfängern von Bezügen. Die Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, sagt: »Die Geburtenrate in Deutschland liegt zwischen 1,5 und 1,6 Kinder je Frau. Um die Zahl der in unserem Land lebenden Menschen konstant zu halten, bräuchte es eine Geburtenrate von rund 2,1.« Wie kann Heil also sein Ziel erreichen, die gesetzliche Rente als tragende Alterssicherung zu stabilisieren und dabei das Rentenniveau dauerhaft zu sichern?

Sorge der Arbeitgeber:

Dulger mahnt: »Immer mehr staatliche Mittel müssen in die Rentenkassen fließen. Zudem drohen die Beiträge immer stärker zu steigen.« Je mehr Geld Unternehmen und Staat in die Sozialkassen stecken müssten, »desto weniger bleibt für Investitionen in die Zukunft«. Der Arbeitgeberpräsident verweist auf die mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr, die aktuell aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse fließen.

Aktuelle Lage:

Derzeit ist die Rentenkasse gut gefüllt. »Trotz mehrfacher Krisen ist der Arbeitsmarkt in Deutschland stabil«, sagt Roßbach. Folglich seien die Beitragseinnahmen von Januar bis November um 5,5 Prozent gestiegen. »Das stimmt sehr positiv.« Die Ausgaben seien zudem geringer gewesen als vor einem Jahr geschätzt. Corona habe zu einem Anstieg der Sterblichkeit geführt - ein Grund für einen langsameren Zuwachs der Lebenserwartung. Statt eines ursprünglich befürchteten Defizits von 6,5 Milliarden verbucht die Rentenversicherung laut Roßbach zum Jahresende so einen Überschuss von 2,1 Milliarden Euro. Im Juli sollen die Renten um rund 3,5 Prozent im Westen und um mehr als 4 Prozent in Ostdeutschland steigen.

Prognosen für die kommenden Jahre:

Roßbach verweist auf die offiziellen Schätzungen: Demnach bleibt der Beitragssatz bis 2026 bei 18,6 Prozent - und steigt bis 2030 auf 20,2 Prozent. »Ende der 1990er Jahre war der Beitragssatz schon höher als der jetzt für 2030 prognostizierte«, sagt die Rentenpräsidentin. Damals betrug er 20,3 Prozent. Das Rentenniveau, das die Sicherungskraft der Renten im Verhältnis zu den Löhnen angibt, dürfte bis 2024 oberhalb von 48 Prozent bleiben. Danach greift voraussichtlich eine gesetzliche Haltelinie, um das Niveau zu stabilisieren. Aber 2036 würde es nach den Schätzungen auf 44,9 Prozent sinken.

Reform-Forderungen:

Verdi-Chef Frank Werneke sieht das Älterwerden in Deutschland als »eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung«. Er fordert: »Deshalb braucht es eine Stärkung der zusätzlichen Finanzierung aus Steuereinnahmen.« Arbeitgeberpräsident Dulger hat ganz andere Forderungen. »Wir müssen über das Renteneintrittsalter sprechen«, sagt er. »Wir haben eine wachsende durchschnittliche Lebenserwartung in dieser Republik, und deshalb werden wir auch nicht darum herumkommen, das Rentenalter schrittweise weiter anzuheben.« Eine Koppelung von Lebenserwartung und Rentenalter erzeuge einen »Automatismus, der auf jeden Fall in die richtige Richtung geht«. Allerdings hatten SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag versprochen: »Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.«

Faktor Arbeitsmarkt:

Düsteren Szenarien hält Rentenpräsidentin Roßbach entgegen: »Es wird keinen Bankrott und keinen Kollaps des Rentensystems geben, sondern es gibt Entwicklungslinien, die gestaltet werden können.« Das Erwerbspotenzial auf dem Jobmarkt sei groß - und sollte ihrer Ansicht nach weiter gefördert werden. »Zu nennen sind hier insbesondere die Frauen, die Älteren und insbesondere die Zugewanderten.« Bereits Heil hatte erklärt, das geplante neue Gesetz für mehr Einwanderung von Fachkräften solle auch zu stabileren Renten beitragen.

Reform-Optionen:

Noch ist laut Roßbach politisch offen, ob der Beitragssatz für die Rente künftig bestimmten Grenzen unterliegen solle. »Daran wird sich bemessen, wie das mit Steuermitteln oder anderen Maßnahmen flankiert wird.« Ab 2023 will die Regierung zudem einen neuen Kapitalstock für die Rente aufbauen. Mit zunächst 10 Milliarden Euro sollen Gewinne auf dem Kapitalmarkt erzielt werden (»Aktienrente«). Nach Aussagen der Rentenversicherung bräuchten solche Anlagen aber viel mehr Umfang, um wirkliche Erleichterungen bei den Beiträgen zu bringen.

Vorgezogene Rente:

Dulger fordert ein Ende der vorgezogenen Altersrente ohne Abschläge nach einer Versicherungszeit von 45 Jahren in heutiger Form. »Der Kanzler selbst hat ja schon erkannt, dass die Rente ab 63 nicht zeitgemäß ist, obwohl seine Partei sie damals durchgedrückt hat«, sagt der Arbeitgeberpräsident. Vor Weihnachten hatte SPD-Kanzler Olaf Scholz gesagt, künftig sollten mehr Menschen als bisher tatsächlich bis zum geltenden Renteneintrittsalter arbeiten. Roßbach erklärt, die Inanspruchnahme von vorgezogenen Renten mit oder ohne Abschläge habe 2015 bei 60,4 Prozent gelegen - 2021 bei 58,2 Prozent. »Das schwankt immer mal wieder. Eine Welle von Frühverrentung kann man daraus nicht ableiten.« Binnen 20 Jahren sei der Anteil der Beschäftigten im Alter von 60 bis 64 Jahre sogar »ganz deutlich angestiegen« - von 12 auf 47,5 Prozent.

© dpa-infocom, dpa:221230-99-52554/2