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Verzögert die »Parlamentsschleife« die Rüstungsbeschaffung?

Sind die politischen Kontrolleure Bremsklötze bei der Modernisierung der Bundeswehr? Berater von Wirtschaftsminister Habeck listen Vorschläge für eine schnellere Beschaffung von Ausrüstung und Waffen auf.

Bundeswehr
Soldaten der Bundeswehr führen eine Gefechtsübung vor. Foto: Philipp Schulze/DPA
Soldaten der Bundeswehr führen eine Gefechtsübung vor.
Foto: Philipp Schulze/DPA

Ein Beratergremium von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rät zu vereinfachter Rüstungsbeschaffung und einem Verzicht auf die »Parlamentsschleife« in den Entscheidungswegen.

Dass der Haushaltsausschuss verlange, militärische Beschaffungsverträge über mehr als 25 Millionen Euro zur Genehmigung vorgelegt zu bekommen, widerspreche der Gewaltenteilung, lade zu Nachverhandlungen ein und schwäche die Verhandlungsposition der Bundeswehr gegenüber der Industrie, warnt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium.

Experte spricht von »Nachtstreich« des Parlaments

»Das Parlament hat sich in einem Nachtstreich eine Kompetenz geholt, die ihm nicht zusteht. Und man muss ihm klarmachen, dass es sich da schlecht benommen hat und dass es das bitte schön wieder zurücknehmen soll«, sagt Christoph Engel (Max-Planck-Institut Bonn), federführendes Mitglied der regierungsunabhängigen Arbeitsgruppe, bei der Vorstellung des Gutachtens. Zu Überlegungen, den Betrag für solche Vorlagen deutlich zu erhöhen, sagt er: »Unser Vorschlag ist nicht, die 25-Millionen-Grenzen zu erhöhen, sondern die Parlamentsschleife abzuschaffen.«

Reaktionen aus dem Bundestag waren überwiegend verhalten bis skeptisch. Der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer erkannte Reformbedarf und begrüßte Vorschläge des Beirats, verteidigte aber auch Mitentscheidungsrechte des Parlaments. Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Alexander Müller, schlug im »Handelsblatt« vor, die Kontrollgrenze auf 100 Millionen Euro anzuheben. Er sagte: »Aber wir als Parlamentarier wollen weiter die Kontrolle über große Rüstungsaufträge haben.«

Kontraproduktive Regeln

Das Beschaffungsverfahren werde »durch verschiedene kontraproduktive Regelungen verzögert«, stellt der Wissenschaftliche Beirat fest. Der Bundeswehr stehe zwar ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung, trotzdem komme die Beschaffung dringend benötigter Waffensysteme nur langsam voran.

Die Experten empfehlen eine klare Trennung der Aufgaben von Regierung und Parlament. Sie fordern: »Die anstehende Modernisierung der Bundeswehr sollte genutzt werden, um mit Erleichterungen im Vergabeverfahren zu experimentieren und das Innovationspotential militärischer Forschung und Entwicklung zu erschließen, auch für spätere zivile Anwendungen.«

Der Beirat schlägt auch vor, den Instanzenweg bei Nachprüfungsverfahren zu kürzen, das Mittelstandsgebot zu lockern, und die Möglichkeit von Anreizverträgen für die Industrie zu erweitern. Schließlich sollten die Erleichterungen im Beschaffungswesen nicht auf Güter mit rein militärischer Nutzung beschränkt sein, sondern auf den gesamten Bedarf der Bundeswehr ausgedehnt werden. Der Beiratsvorsitzende Klaus Schmidt (Ludwig-Maximilians-Universität München) fordert: »Die Erfahrungen mit militärischen Beschaffungen sollte man nutzen, um auch andere Beschaffungsverfahren und Großprojekte zu beschleunigen.«

Ist »Kulturwandel« nötig?

Im Bundeswehrbeschaffungsamt (BAAINBw) in Koblenz sei ein »Kulturwandel« nötig, meinen die Experten nach Gesprächen in der Bundesbehörde. Sie bescheinigen den Mitarbeitern aber, vielfach eine vernünftige Arbeit zu leisten, doch sollten sie Wünschen und Anforderungen aus dem Militär öfter und energischer widersprechen. Allerdings gebe es eine »Unwucht«, wenn höchste militärische Stellen auf Beamte der mittleren Ebene träfen. Hier sei Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gefordert.

Zu Verzögerung führten auch Erwartungen in der Beschaffungsbehörde, es könne Beschwerden gegen Vergaben geben, die ein Nachprüfungsverfahren über mehrere Instanzen auslösen. »Das Grundgesetz verlangt nicht mehrere Instanzen, sondern nur eine Instanz. Und die Instanz, die sich anbieten würde, wäre die erste Instanz, die jetzt schon tätig wird, nämlich die Vergabekammer im Bundeskartellamt«, sagt Engel dazu. »Dann hätte man die Notwendigkeit zu rechtfertigen, dass diese Vergabekammer wie ein Gericht behandelt wird. Die Europäische Union tut das ohnehin.«

Die Wissenschaftler empfehlen auch, der militärischen Forschung ein größeres Gewicht zu geben und sich dabei in der US-Behörde für Rüstungsforschung (Darpa) und deren »Weitsicht« ein Vorbild zu nehmen. »Die Bundesrepublik hat sich bisher - aus gut nachvollziehbaren historischen Gründen - bei der Förderung militärischer Forschung zurückgehalten. Doch technische Überlegenheit ist für die Abschreckung von entscheidender Bedeutung«, so die Wissenschaftler. Und: »Darum sollten Instrumente der innovativen Beschaffung stärker genutzt und die strikte Trennung von zivilem und militärischem Bereich gelockert werden, insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung.«

© dpa-infocom, dpa:230725-99-525578/4