Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht erhebliche Risiken bei der Verwendung der Kurzvideo-App Tiktok. Dabei geht es sowohl um den Umfang gesammelter Daten als auch Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme. Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser gibt es zugleich keine Grundlage für ein generelles Verbot der App in Deutschland, wie es in den USA im Gespräch ist. Tiktok-Chef Shou Zi Chew versuchte am Donnerstag im US-Kongress, Sorgen über chinesische Spionage und Einflussnahme zu zerstreuen. Er traf dabei auf starken Gegenwind.
Tiktok steht zunehmend unter politischem Druck, weil die Plattform zu dem aus China stammenden Bytedance-Konzern gehört. Der Dienst ist mit mehr als einer Milliarde Nutzern weltweit die einzige auch im Westen erfolgreiche Online-Plattform, die nicht aus den USA stammt.
Warnung vor Einflussmöglichkeiten
Der Verfassungsschutz verwies auf Unklarheiten rund um die Verbindungen zu China. »Wenn Sie sich Umfang der Daten, der Metadaten, der Inhalte bei Tiktok anschauen auf der einen Seite, und wenn Sie sich dann auch anschauen, welche Einflussmöglichkeiten staatliche Stellen auf solche Unternehmen haben, dann kann das nur Bauchschmerzen auslösen. Und die habe ich«, sagte der Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes, Sinan Selen, in Berlin. »Wir sind im Ausmaß dessen, worauf staatliche Stellen, gerade in China Zugriff nehmen können, nicht klar genug - ich glaube, das ist das Kernproblem bei der ganzen Sache«, fügte er hinzu. Unternehmen wie Tiktok seien nicht im Stande, sich einer solchen Einflussnahme zu entziehen.
In der App kann man von einem kurzen Video zum nächsten scrollen. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg ist der Software-Algorithmus, der Clips für jeden Nutzer individuell auswählt und ständig an ihre Vorlieben anpasst. Dabei wird unter anderem berücksichtigt, ob man ein Video bis zum Schluss angeschaut oder sofort weitergeblättert hat. Am Ende hat die Software eine gute Vorstellung von den Interessen der Nutzer. Eine der Sorgen im Westen ist, dass dieser Datenschatz missbraucht werden könnte.
Tiktok-Chef im US-Kongress
Der Tiktok-Chef versuchte in Washington, die Verdächtigungen im Bezug auf die USA zu entkräften. Er betonte, dass alle Daten amerikanischer Nutzer auf US-Servern lagerten und der Zugang dazu strikt überwacht werde. Zudem laufe der Empfehlungs-Algorithmus von Tiktok, der die Videos für Nutzer in Amerika auswählt, beim US-Softwareriesen Oracle, der auch den Software-Codes der App-Updates prüfe. Die aktuelle App sammele keine GPS-Ortungsdaten oder biometrische Informationen. Die bisher in Singapur gespeicherten US-Daten würden derzeit gelöscht.
Die Abgeordneten im Handelsausschuss des Repräsentantenhauses gingen den Tiktok-Chef jedoch parteiübergreifend hart an und zeigten wenig Interesse an seinen Antworten. Die Vorsitzende Cathy Rogers gab einen scharfen Ton vor. »Tiktok überwacht uns alle. Und die Kommunistische Partei Chinas kann es als Werkzeug benutzen, um Amerika als Ganzes zu manipulieren«, sagte die Republikanerin. Dass Tiktok 150 Millionen Nutzer in den USA habe, sei ein Alarmsignal. Auch nannte sie Tiktok ein »Portal für Drogenhändler«. Der demokratische Vize-Vorsitzende Frank Pallone sagte, die Datenschutz-Zusicherungen in den USA seien nicht ausreichend.
Der republikanische Abgeordnete Buddy Carter sagte, Tiktok mache mit dem Algorithmus die Nutzer abhängig wie keine andere Plattform. Die chinesische Kommunistische Partei wisse das und betreibe »psychologische Kriegsführung über Tiktok, um amerikanische Kinder zu beeinflussen«. Andere Ausschussmitglieder verwiesen auf Gefahren durch Mutproben, die sich auf der Plattform verbreiteten und zu Todesfällen führen könnten. Viele Abgeordnete unterbrachen Antworten des Tiktok-Chefs mit der Forderung nach einem »Ja« oder »Nein« zu komplexen Fragen.
Regelungen in anderen Ländern
Tiktok weist alle Vorwürfe zurück und betont, man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens, da Bytedance zu 60 Prozent im Besitz westlicher Investoren sei und der offizielle Firmensitz auf den Cayman-Inseln in der Karibik liege. Kritiker kontern, dass die chinesischen Gründer bei einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle dank höherer Stimmrechte hielten und Bytedance eine große Zentrale in Peking habe. Laut Medienberichten fordert die US-Regierung einen Ausstieg chinesischer Anteilseigner.
Unter anderem in den USA, Deutschland und Großbritannien ist die App auf Dienst-Handys von Regierungsmitarbeitern verboten, auch bei der EU-Kommission. Am Donnerstag kam das britische Parlament dazu. Im US-Kongress ist zudem ein Gesetz in Arbeit, das Präsident Joe Biden die Vollmachten für ein komplettes Verbot der App geben könnte. Schon Bidens Vorgänger Donald Trump hatte versucht, mit einer Verbotsdrohung einen Verkauf des internationalen Geschäfts von Tiktok zu erzwingen. Er wurde jedoch von US-Gerichten gestoppt, die eine mangelhafte rechtliche Grundlage für das Vorgehen sahen.
Innenministerin Faeser (SPD) sagte bei einem Besuch in Washington, sie sehe zwar kein generelles Verbot der App in Deutschland. Man müsse jedoch verstärkt darüber aufklären, dass es sich bei Tiktok um eine Firma handele, bei der »die Daten natürlich abfließen können«.
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