Einen Monat vor der Abstimmung über eine neue Verfassung in Chile ist der Entwurf zu einem Bestseller geworden. Von dem Text, den die Verfassungsgebende Versammlung Anfang Juli an Präsident Gabriel Boric übergeben hatte, wurden nach Angaben des Verlags LOM Ediciones vom Mittwoch (Ortszeit) bereits mehr als 70 000 Exemplare verkauft. Auf der aktuellen Sachbuch-Bestenliste der Zeitung »El Mercurio« steht das Buch damit auf Platz eins.
Die wahlberechtigte Bevölkerung des südamerikanischen Landes mit rund 19 Millionen Einwohnern soll am 4. September in einem Referendum über die neue Verfassung entscheiden. In jüngsten Umfragen lagen die Gegner vor den Befürwortern.
Verlagsdirektorin Silvia Aguilera bezeichnete den Verkaufserfolg als »Überraschung«. Anfangs habe man nur den Druck von 1000 Exemplaren in Auftrag gegeben. Nun bildeten sich vor dem Verlag Schlangen. Am Donnerstag wurde der Verfassungstext auf dem Platz der Pressefreiheit vorgelesen. LOM Ediciones verkündete zudem, das Buch auch im Nachbarland Argentinien auf den Markt zu bringen.
Große Mehrheit für neue Verfassung
»Die Leute sind in Hochstimmung: Sie wollen den Originalentwurf kennen, mitreden und diskutieren können«, sagte Aguilera der Deutschen Presse-Agentur. Käufer seien vor allem Befürworter der neuen Verfassung.
Im Oktober 2020 hatten die Chilenen mit großer Mehrheit für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gestimmt. Die aktuelle Verfassung stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur (1973-1990) unter General Augusto Pinochet. Ob der Entwurf angenommen wird, ist jedoch noch unklar. Einem Teil der Gesellschaft gehen die Artikel, die etwa die sozialen Rechte, die Rechte der Indigenen und den Umweltschutz stärken sollen, zu weit. Zwischen Befürwortern und Gegnern ist ein mit harten Bandagen geführter Kampf entbrannt. Präsident Boric, dem die Opposition Einmischung zugunsten der Befürworter vorwirft, hat für den Fall einer Ablehnung bereits laut über eine Überarbeitung des Entwurfs nachgedacht.
Eine neue Verfassung hatte zu den Hauptanliegen der Demonstranten gezählt, die Ende 2019 einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem gefordert hatten. Mehr als 30 Menschen kamen bei den Protesten ums Leben, der Polizei wurde exzessive Gewaltanwendung vorgeworfen. Boric, der seit Dezember Präsident ist, unterstützte damals die Forderungen.
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