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Verbliebene im besetzten Cherson sollen Ukrainer abwehren

Die Lage der russischen Truppen im Gebiet Cherson hat sich deutlich verschlechtert. Über einen möglichen Truppenabzug wird spekuliert - der ukrainische Militärgeheimdienst vermutet eher ein Ablenkungsmanöver.

Evakuiert
Evakuierte Personen aus Cherson stehen nach ihrer Ankunft am Bahnhof von Dschankoj auf der Krim. Foto: Uncredited
Evakuierte Personen aus Cherson stehen nach ihrer Ankunft am Bahnhof von Dschankoj auf der Krim.
Foto: Uncredited

Die russische Militärverwaltung im besetzten Cherson will angesichts des ukrainischen Vormarsches die verbliebenen Männer für eine paramilitärische Heimatwehr rekrutieren.

»Alle Männer, die aus eigenem Willen in Cherson geblieben sind, haben die Möglichkeit, in die Reihen der Territorialverteidigung einzutreten«, teilte die Verwaltung am Montag auf ihrem Telegram-Kanal mit. Gleichzeitig fordern die Besatzer Zivilisten in der Region zur Flucht auf.

In den vergangenen Wochen hat sich die Lage der russischen Truppen im Gebiet Cherson deutlich verschlechtert - speziell auf dem nordwestlichen Ufer des Dnipro. Der Nachschub ist durch den ukrainischen Beschuss der Brücken nahezu zum Erliegen gekommen.

Bei einer Offensive Anfang Oktober konnten die Ukrainer deutliche Geländegewinne erzielen. Unter diesen Umständen hat die Militärverwaltung eigenen Angaben nach bereits rund 25.000 Zivilisten aus der Region verschickt.

Kommandeur kündigt »schwierige Entscheidungen« an

Der Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, kündigte zudem »schwierige Entscheidungen« an, was Beobachter als Indiz für einen geplanten Abzug deuten. Zugleich mehren sich Informationen, dass die russischen Truppen Wertgegenstände und wichtige Dokumente aus der Stadt Cherson abtransportiert haben.

Meldungen darüber, dass Offiziere bereits in den rückwärtigen Raum verlegt wurden, können unabhängig nicht bestätigt werden. Die russische Führung, die erst im September das Gebiet Cherson offiziell annektiert hat, bestreitet Rückzugspläne.

Ukrainisches Militär erwartet keinen russischen Abzug

Der ukrainische Militärgeheimdienst erwartete zudem keinen Abzug russischer Truppen. Im Gegenteil bereite sich die russische Armee auf eine Verteidigung der Stadt vor, sagte der Leiter des Geheimdienstes, Kyrylo Budanow, am Montag in Kiew. »Die russischen Besatzer erwecken nur die Illusion, dass sie Cherson verlassen, tatsächlich bringen sie aber neue Militäreinheiten dorthin«, sagte er dem Portal »Ukrajinska Prawda«. Unabhängig überprüfbar waren Budanows Angaben ebenso wenig wie die der russischen Seite zur Lage in Cherson.

Budanow sieht in den russischen Informationen zum Abzug der Besatzungsverwaltung und der russischen Banken sowie zur Räumung von Krankenhäusern eher ein Ablenkungsmanöver. Er sagte, die neu herangeführten Truppen achteten darauf, dass ihnen im Fall eines ukrainischen Vorstoßes der Rückweg über den Dnipro offen bleibe.

In dem Angriffskrieg seit genau acht Monaten ist Cherson als einzige ukrainische Gebietshauptstadt in russische Hand gefallen.

© dpa-infocom, dpa:221024-99-241248/5