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Urteil: Wahlrechtsreform von 2020 verfassungskonform

Die Wahlrechtsreform von 2020 hält verfassungsrechtlichen Bedenken stand, aber nur knapp. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bleibt eine Klage von drei damaligen Oppositionsfraktionen erfolglos.

BVG
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Foto: Uli Deck/DPA
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Foto: Uli Deck/DPA

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lässt die Wahlrechtsreform von 2020 passieren - sie ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Änderungen, die die damalige große Koalition im Alleingang durchgeboxt hatte, verstießen nicht gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien, führte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, aus.

216 Abgeordnete von FDP, Grünen und Linken, die damals alle in der Opposition waren, scheiterten damit in Karlsruhe. Ihr Normenkontrollantrag wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Senats fiel mit fünf zu drei Stimmen jedoch knapp aus. In einem Sondervotum trugen die Senatsvorsitzende König sowie die Richter Ulrich Maidowski und Peter Müller Bedenken vor allem an der Verständlichkeit der nun durchgewinkten Regelungen vor.

Die Senatsmehrheit stellte hingegen fest, dass sich das Gesetz nicht primär an die Bürger richte, sondern an die Wahlorgane, also etwa Wahlleiter und Wahlausschüsse. Für diese sei das Wahlrecht ausreichend bestimmt und klar.

Eigene Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition

Die Fassung des Wahlrechts, um die es nun am Verfassungsgericht ging, ist inzwischen überholt. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte im Frühjahr dieses Jahres eine eigene Wahlrechtsreform durchs Parlament gebracht. Diese geht noch deutlich weiter als die Vorgängerreform und wird wiederum von der jetzigen Opposition heftig kritisiert. Auch dagegen sind Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Politiker der Ampel werteten die Karlsruher Entscheidung zur Vorgängerreform als ermutigendes Signal für ihre eigene, die aktuelle Reform. »Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt den weiten Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers bei der Ausgestaltung des Wahlrechts«, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann. Das knappe Votum sei zudem ein klares Signal dafür, mit dem neuen Wahlrecht alles richtig gemacht zu haben, betonte der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen. »Es ist einfach, vorhersehbar und gerecht.«

Der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling (CDU), sagte hingegen: »Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht auf die Stärkung des personalen Elements hingewiesen und darauf, dass dies ein verfassungslegitimes Ziel ist.« Die Ampel solle »jetzt innehalten und ihr Wahlrecht überdenken«. In der aktuellen Version des Wahlrechts sind unter anderem Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft.

Auf dem Prüfstand in Karlsruhe standen im jetzt entschiedenen Fall die Vorschriften zur Sitzzuteilung, nach denen 2021 der aktuelle Bundestag zustande kam. Die Reform hatte das Ziel, den durch Überhang- und Ausgleichsmandate immer größer gewordenen Bundestag zu verkleinern. Ein Kritikpunkt war allerdings, dass Überhangmandate erst ab dem vierten Mandat durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert wurden. Dieses Verfahren sei jedoch nicht zu beanstanden, so der Zweite Senat.

Überhangmandate entstanden nach dem alten Wahlrecht, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewann, als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis Sitze zustanden. Ausgleichsmandate für die anderen Parteien sollten sicherstellen, dass am Ende die Sitzverteilung dem Stimmenverhältnis entsprach. Es sei hinreichend bestimmt im angegriffenen Gesetz, wie und bis zu welchem Punkt die Sitzzahl des Bundestags zu erhöhen sei, sagte König.

Der Kritik der Kläger, die Regelungen in der Reform seien zu unverständlich und für die Wähler und Wählerinnen nicht mehr zu durchschauen, folgte das oberste deutsche Gericht mehrheitlich nicht. Die Vorschriften seien zuallerst an die Wahlorgane gerichtet, hieß es in der Urteilsbegründung. Bei einem Wahlsystem, das auf einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl basiere, sei »ein gewisses Maß an Komplexität des Sitzzuteilungsverfahren nicht zu vermeiden«.

Richter äußern in einem Sondervotum Bedenken

König sowie die Richter Müller und Maidowski kamen in ihrem Sondervotum zu anderen Schlüssen. Den Wahlberechtigten werde eine Wahrnehmung ihres fundamentalen Rechts auf demokratische Selbstbestimmung »im Blindflug« zugemutet.

Das Urteil ist insbesondere für eine mögliche Wiederholungswahl in der Bundeshauptstadt von Bedeutung. Denn in einigen Berliner Wahlbezirken soll die Bundestagswahl von 2021 wegen Pannen am Wahltag nach einem Beschluss des Bundestags wiederholt werden. Auch dazu läuft ein Verfahren in Karlsruhe, das Urteil ist für den 19. Dezember angekündigt. Diese Wiederholungswahl kann nach dem Karlsruher Richterspruch vom Mittwoch nun wie vorgeschrieben nach denselben Regeln stattfinden wie die Hauptwahl.

Die Regelgröße des Bundestags war ursprünglich mal auf 598 Abgeordnete festgelegt gewesen. Derzeit gibt es aber 736 Parlamentarier und Parlamentarierinnen, so viele wie nie zuvor. Im Grunde sind sich alle einig, dass Reformbedarf besteht. Nur über das Wie wird seit Jahren gestritten. Denn jeder möchte vermeiden, dass Änderungen auf seine Kosten gehen. Wann die aktuelle Reform des Wahlrechts in Karlsruhe auf den Prüfstand kommt, ist noch unklar.

© dpa-infocom, dpa:231129-99-112272/10