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Untersuchung zu Afghanistan-Evakuierung hat begonnen

Schon als das letzte Flugzeug der Bundeswehr in Kabul abhob, war klar, dass die Umstände der chaotischen Evakuierung eines Tages einen Untersuchungsausschuss beschäftigen würden. Dieser hat nun die Arbeit aufgenommen.

Evakuierungsmission
Zwei A400M-Transportmaschinen der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst Wunstorf nach Rückkehr von einer Evakuierungsmission in Afghanistan im August 2021. Foto: Friso Gentsch
Zwei A400M-Transportmaschinen der Bundeswehr auf dem Fliegerhorst Wunstorf nach Rückkehr von einer Evakuierungsmission in Afghanistan im August 2021.
Foto: Friso Gentsch

Am letzten Sitzungstag vor der parlamentarischen Sommerpause hat der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Arbeit aufgenommen. Er soll die hektische Evakuierung aus Kabul im Sommer 2021 beleuchten. Dabei geht es auch um das Schicksal von mehreren Tausend ehemaligen Ortskräften, die immer noch auf eine Möglichkeit zur Ausreise nach Deutschland warten.

Der Bundestag setzte außerdem mit den Stimmen von SPD, Union, Grünen und FDP eine Enquete-Kommission ein, die mit wissenschaftlicher Begleitung die Sinnhaftigkeit des fast 20 Jahre andauernden Afghanistan-Einsatz hinterfragen und daraus Lehren für die Zukunft ableiten soll.

Afghanistan sei heute ein »geschundenes Land in einem katastrophalen Zustand«, sagte Schahina Gambir von den Grünen. »Aus unrealistisch gesetzten Zielen müssen wir lernen«, forderte Michael Müller (SPD). Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin soll die Enquete-Kommission leiten.

CDU: Einsatz grundsätzlich richtig

Die militant-islamistischen Taliban hatten im August 2021 die Macht in Kabul übernommen. Sie stießen auf wenig Gegenwehr der afghanischen Streitkräfte, zu deren Ausbildung auch die Bundeswehr beigetragen hatte. Johann Wadephul (CDU) ist trotzdem überzeugt, dass der Einsatz, in dem 59 deutsche Soldaten starben, insgesamt kein Misserfolg und daher grundsätzlich richtig war. Er sagte: »Für 20 Jahre war Afghanistan kein Rückzugsort mehr für internationalen Terrorismus.« Mädchen hätten zur Schule gehen, Frauen studieren können.

Ausgangspunkt der Intervention in Afghanistan waren die Anschläge des 11. Septembers 2001, zu dem sich die islamistische Terrororganisation Al-Kaida bekannte. Später wurde das ursprüngliche Kriegsziel - den Terroristen ihren Rückzugsort zu nehmen - erweitert. Als Ziele wurden unter anderem die Entmachtung der Taliban, eine Ertüchtigung der afghanischen Streitkräfte, Demokratie, Meinungsfreiheit und Frauenrechte formuliert.

In einem Antrag zur letzten Verlängerung des Mandats für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, über den der Bundestag im März 2021 beraten hatte, hieß es: »Ein Abzug unter den derzeitigen Voraussetzungen birgt nicht nur Gefahren für die unmittelbare Stabilität Afghanistans und der Region, sondern auch für die hart errungenen Fortschritte der letzten Jahrzehnte insgesamt.«

Humanitäre Situation in Afghanistan soll in den Fokus rücken

Im Untersuchungsausschuss gehe es nicht in erster Linie darum, »Schuldige« zu benennen, sagte der Vorsitzende Ralf Stegner. Ein Ziel sei auch, die aktuelle humanitäre Situation in Afghanistan ins Blickfeld zu rücken.

Durch die Auswertung von Dokumenten und die Befragung von Zeugen soll der Untersuchungsausschuss klären, wer wann welche Entscheidung traf, wo Fehler gemacht wurden und welche Konsequenzen zu ziehen sind. Eine wichtige Aufgabe sei es auch, Verfahren für den Umgang mit Ortskräften der Bundeswehr in anderen Einsätzen - etwa in Mali - zu etablieren, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sara Nanni, vor Beginn der konstituierenden Sitzung des Ausschusses.

Im Fokus der Untersuchung steht unter anderem das Auswärtige Amt, an dessen Spitze damals der SPD-Politiker Heiko Maas stand. Unter anderem soll die Kommunikation der deutschen Auslandsvertretungen in Afghanistan und umliegenden Staaten angeschaut werden. Davon versprechen sich die Ausschussmitglieder auch Hinweise darauf, wie es damals zu der offensichtlich zu optimistischen Einschätzung zur Lage in Afghanistan kam. Auch der Bundesnachrichtendienst wird in diesem Zusammenhang kritische Fragen beantworten müssen.

Merkel und Seehofer als Zeugen?

Die ersten Zeugen werden voraussichtlich am 29. September befragt. Vorher sollen noch Sachverständige angehört werden. Ob die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in den Ausschuss zitiert werden, steht noch nicht fest.

Die Bundeswehr hatte Afghanistan im Juni 2021 schneller als ursprünglich geplant verlassen. Sie folgte damit zeitlichen Vorgaben der USA. Im August, als die Taliban Kabul einnahmen, beteiligte sich Deutschland dann an einem internationalen militärischen Evakuierungseinsatz. Am Flughafen der afghanischen Hauptstadt hatten sich in der zweiten Augusthälfte dramatische Szenen abgespielt, als viele Menschen das Land verlassen wollten.

Der Ausschuss betrachtet einen Zeitraum, der am 29. Februar 2020 beginnt. An diesem Tag hatte die US-Regierung mit den Taliban das Doha-Abkommen unterzeichnet. Die Islamisten verpflichteten sich - im Gegenzug für den Abzug der US-Truppen - unter anderem zu Friedensgesprächen und der Beteiligung an einer inklusiven Regierung, wozu es letztlich nicht kam. Schlusspunkt der Untersuchung soll der 30. September 2021 sein. Einen Monat zuvor hatten die letzten US-Soldaten den Flughafen Kabul verlassen.

Tausende Ortskräfte und Angehörige in Deutschland

Aus Afghanistan sind im Zeitraum zwischen dem 16. August 2021 und Anfang Juli 2022 nach Angaben des Bundesinnenministeriums 3284 ehemalige lokale Mitarbeiter deutscher Institutionen - sogenannte Ortskräfte - in Deutschland eingereist. Die afghanischen Ortskräfte kamen den Angaben zufolge in Begleitung von 11.857 Familienangehörigen.

Hinzu kamen weitere Afghaninnen und Afghanen, die vom Auswärtigen Amt als »besonders gefährdet« angesehen werden - zusammen mit ihren Angehörigen waren dies rund 4857 Menschen.

© dpa-infocom, dpa:220708-99-958101/2