Trotz Änderungen am ursprünglichen Regierungsentwurf für das geplante Bürgergeld steht die Einführung zum 1. Januar noch immer auf der Kippe. Mehrere Politiker der Union haben am Wochenende ihre ablehnende Haltung bekräftigt.
CDU-Chef Friedrich Merz schrieb am Sonntag auf Twitter: »Aus dem zunächst für sich selbst verantwortlichen Bürger wird mit dem Bürgergeld mehr und mehr ein Versorgungsempfänger.« Nicht Eigenverantwortung stehe bei der Reform im Vordergrund, »sondern ein paternalistischer Staat, der erst nimmt und dann einen Teil davon wieder gibt«, schrieb Merz weiter.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies die Kritik prompt zurück und warf Merz Egoismus vor. »Was versteht Friedrich Merz von Eigenverantwortung? Dessen Motto ist doch, wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht«, sagte Heil beim SPD-Debattenkonvent in Berlin. »Egoismus ist nicht unser Weg, das mag seiner sein.« Geringverdiener dürften nicht gegen Bedürftige ausgespielt werden, warnte der Minister. »Es geht darum, dass wir mit dem Bürgergeld dafür sorgen, dass Menschen, die in existenzielle Not geraten, verlässlich abgesichert werden.«
Merz deutete am Abend in den ARD-»Tagesthemen« an, dass sich die Union ein Stück weit bewegen könnte. Er wolle »ein bisschen die Schärfe aus dieser Diskussion« herausnehmen und werde am Montag dem Parteivorstand der CDU und dem Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorschlagen, »dass wir der Bundesregierung anbieten, noch in dieser Woche einen verbindlichen Beschluss des Deutschen Bundestages über die Anhebung der Regelsätze zu treffen«. Die Sätze, die für das alte Hartz-IV-System gelten, müssten so schnell wie möglich angehoben werden. Das müsse zum 1. Januar spätestens geschehen.
»Und dann müssen wir uns über diesen Systemwechsel unterhalten, der mit diesem sogenannten Bürgergeld vorgenommen wird«, sagte er weiter. Merz verwies dabei auf die vorgesehenen Schonvermögen und Karenzzeiten, mit denen die Union nicht einverstanden sei.
Weniger Druck auf Jobsuchende geplant
Das Bürgergeld soll nach den Plänen der Bundesregierung zum 1. Januar die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen. Ziel ist es, Betroffene in die Lage zu versetzen, sich stärker auf Weiterbildung und Arbeitssuche konzentrieren zu können. Sie sollen dafür vom Jobcenter weniger unter Druck gesetzt werden. Die Regelsätze der Grundsicherung sollen zudem um rund 50 Euro pro Monat steigen.
Am Freitag waren Änderungen der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP am ursprünglichen Entwurf bekannt geworden. Sie hofften, damit Kritiker auf Seiten von CDU und CSU zu besänftigen. Doch auch aus den Reihen der CDU-Ministerpräsidenten gab es eher gegenteilige Signale.
CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer kündigte an, die Reform blockieren zu wollen. »Das Bürgergeld in der jetzigen Form ist ein Fehler, und deswegen können wir dem als Freistaat Sachsen auch nicht zustimmen«, sagte Kretschmer am Samstag bei einem Landesparteitag. Er und seine Amtskollegen von CDU und CSU könnten im Bundesrat ihr Veto gegen das Bürgergeld-Gesetz einlegen. Die nächste Bundesratssitzung, bei der das Thema aller Voraussicht nach auf der Tagesordnung steht, ist für den 25. November angesetzt. Sollte es dort zu einer Blockade kommen, müsste der Vermittlungsausschuss über die Zukunft des Vorhabens entscheiden.
Ampel-Vorschlag für Änderungen
Der Vermittlungsausschuss ist ein Gremium von Bundestag und Bundesrat, das einen Konsens finden soll, wenn vom Bundestag beschlossene Gesetze in der Länderkammer keine Mehrheit finden. Eine Blockade des Bürgergelds könnte sich auch auf den ohnehin engen Zeitplan auswirken - und die Einführung zum 1. Januar gefährden.
Die Nachbesserungen, mit denen die Ampel-Fraktionen hoffen, die Union umzustimmen, betreffen vor allem die zweijährige Karenzzeit - eine Art Schonzeit für Leistungsempfänger mit milderen Regelungen. Vorgesehen ist nun etwa, dass die Heizkosten während dieser Zeit nur noch in angemessener Höhe übernommen werden sollen. Der ursprüngliche Regierungsentwurf sah an dieser Stelle kein Limit für die Kostenübernahme vor. Geändert hat sich auch, dass Leistungsempfänger während dieser Zeit nur dann in eine teurere Wohnung umziehen dürfen, wenn das Jobcenter dies zuvor genehmigt. Neu ist auch, dass Leistungsempfänger künftig neben der Erklärung, kein erhebliches Vermögen zu haben, auch noch zusätzlich eine Selbstauskunft beifügen müssen. Auch so soll einem Leistungsmissbrauch vorgebeugt werden, vor dem Politiker der Union immer wieder warnen.
»Schäbige Attacken mit falschen Zahlen«
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann bezeichnete die Anpassungen als »Kosmetik«. Im Kern sei das Bürgergeld nach wie vor eine »Abkehr vom Prinzip Fördern und Fordern«, sagte Connemann der dpa. Am Montag will der CDU-Bundesvorstand nach dpa-Informationen erneut über das Thema beraten.
Politiker der Ampel ermahnten die Union indes, keine »Fake News« zu verbreiten. Die Union lasse jeden »Respekt kläglich vermissen«, sagte etwa die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Sie fährt nicht nur schäbige Angriffe mit falschen Zahlen auf Leistungsberechtigte und Geringverdiener. Sie droht auch, das Bürgergeld samt Schonvermögen und höheren Regelsätzen im Bundesrat aufzuhalten.« Dabei wäre es Ausdruck von Verantwortung, dem Vorhaben zuzustimmen, appellierte die Grünen-Chefin.
Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnte vor einem Scheitern des Bürgergelds. Mit Blockade zu drohen, sei »unanständig«, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. »In der Krise brauchen alle, die wenig haben, Unterstützung.« Das Bürgergeld müsse in jedem Fall zum 1. Januar kommen.
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