Trotz der russischen Aussetzung des Abkommens zum Export von Getreide aus der Ukraine sollen am Montag weiter Schiffe über den Korridor im Schwarzen Meer ausfahren. Die Delegationen der Vereinten Nationen, der Türkei und der Ukraine hätten sich auf einen entsprechenden Plan geeinigt, hieß es in einer Mitteilung des Koordinierungszentrums in Istanbul.
Am Montag sollen demnach zwölf Schiffe durch den festgelegten humanitären Korridor in Richtung Istanbul aufbrechen, vier in entgegengesetzte Richtung. Die russische Delegation sei darüber informiert worden. Am Sonntag seien sechs beladene Schiffe in Richtung des Korridors aufgebrochen. Im Korridor selbst habe es am Sonntag aber keine Schiffsbewegungen gegeben.
Derzeit würden sich 21 an der Initiative beteiligte und mit etwa 700.000 Tonnen Getreide beladene Frachter in oder in der Nähe der drei ukrainischen Häfen befinden, hieß es. Darunter sei auch ein mit 30.000 Tonnen Weizen beladenes Schiff für Nothilfe am Horn von Afrika im Rahmen des Welternährungsprogramms.
Die Kontrollen ausfahrender Schiffe am Bosporus wurden am Sonntag fortgesetzt, der Mitteilung zufolge wurden an diesem Tag Inspektionen von elf beladenen Schiffen abgeschlossen. Insgesamt seien derzeit 112 Schiffe zur Inspektion in Istanbul registriert, 97 davon beladen.
Moskau erwartet Gespräche über Getreideabkommen
Russland erwartet für die nächsten Tage Gespräche mit den Vereinten Nationen und der Türkei über das ausgesetzte freie Geleit für ukrainische Getreideexporte im Schwarzen Meer. Das sagte Vizeaußenminister Andrej Rudenko am Sonntagabend in Moskau.
Bevor aber an eine Rückkehr Russlands zu der Vereinbarung zu denken sei, müsse der Drohnenangriff auf die Schwarzmeerflotte aufgeklärt werden. »Das war himmelschreiend, es wurden alle Bedingungen verletzt, die vereinbart waren«, sagte Rudenko nach Angaben russischer Agenturen.
Der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der annektierten Halbinsel Krim war am Samstag von Flug- und Schwimmdrohnen angegriffen worden. Moskau spricht von einem Terrorakt und behauptet, dass die ferngesteuerten Kampfboote sich im Schutz des Seekorridors für die Getreideexporte bewegt hätten. Beweise wurden bislang nicht vorgelegt. Russland hat für Montag auch eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York zu dem Thema beantragt.
Türkei will sich für Fortsetzung des Deals einsetzen
Die Türkei hatte zuvor angekündigt, sich weiter für eine Fortführung der Vereinbarung einzusetzen. Die Verhandlungen mit den zuständigen Akteuren würden fortgesetzt, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Sonntagabend mit. Die russischen Vertreter seien weiter im gemeinsamen Koordinierungszentrum in Istanbul.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres will das von Russland ausgesetzte Abkommen retten. Der ehemalige portugiesische Ministerpräsident sei »zutiefst besorgt« und führe intensive Kontakte mit dem Ziel, die Aussetzung des im Juli geschlossenen Abkommens wieder rückgängig zu machen, teilte UN-Sprecher Stepháne Dujarric am Sonntag in New York mit. Einzelheiten nannte er nicht.
Baerbock: Moskau darf Sicherheit der Schiffe nicht gefährden
Außenministerin Annalena Baerbock forderte derweil Russland zur Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Abkommen auf. »Millionen Menschen auf der Welt hungern, und Russland stellt erneut die Sicherheit von Getreideschiffen zur Disposition. Das muss aufhören«, sagte die Grünen-Politikerin am Sonntag in Berlin. »Ob Familien in Libanon, Niger oder Bangladesch ihre nächste Mahlzeit bezahlen können, darf nicht von den Kriegsplänen des russischen Präsidenten abhängen.«
Baerbock verwies darauf, dass Dutzende Schiffe aktuell auf dem Weg seien, um Getreide aus der Ukraine in andere Länder zu bringen. »Wir fordern Russland auf, die Sicherheit dieser Schiffe nicht zu gefährden und seine Zusagen an die internationale Gemeinschaft wieder einzuhalten.« Seit Inkrafttreten des Abkommens im Sommer seien die Getreidepreise auf dem Weltmarkt endlich wieder auf ein erträgliches Niveau gefallen, betonte Baerbock mit Blick auf die Ukraine.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte Russlands erneute Blockade. Die Entscheidung gefährde »die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise«, schrieb der EU-Chefdiplomat am Sonntag auf Twitter. Die EU fordere Moskau dringend dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.
Russland hatte seine Zustimmung zu den Exporten am Samstag »auf unbestimmte Zeit« ausgesetzt. Moskau begründete dies mit ukrainischen Drohnenangriffen auf seine Schwarzmeerflotte auf der Halbinsel Krim, die Moskau seit 2014 völkerrechtswidrig annektiert hat.
Das russische Militär nannte am Sonntag angebliche Details zum Angriff. Den Angriff vom Samstagmorgen hatte Moskau als Anlass genommen, um die Vereinbarung über freies Geleit für Schiffstransporte mit ukrainischem Getreide auszusetzen.
Die ferngesteuerten Kampfboote seien nachts in der Nähe der ukrainischen Hafenstadt Odessa gestartet worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Sonntag in Moskau mit. Die Boote hätten zunächst den für die Getreidetransporte festgelegten Seekorridor genutzt, um dann Kurs auf Sewastopol zu nehmen. Beweise dafür wurden der schriftlichen Mitteilung nicht beigefügt.
Russische Experten hätten aus der Elektronik der Schwimmdrohnen den Fahrweg herausgelesen. Es lasse sich vermuten, dass wenigstens eine Drohne auf See von einem der Getreideschiffe aus gestartet worden sei. Auch dies wurde nicht belegt - es wurde auch kein Schiffsname genannt. Die Navigationstechnik der kajakförmigen Boote stamme aus Kanada, hieß es. Moskau wiederholte den Vorwurf, dass britische Instrukteure den Ukrainern bei dem Einsatz geholfen hätten.
9,3 Millionen Tonnen Getreide verschifft
Das im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UN vereinbarte Abkommen hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren infolge des russischen Angriffskriegs beendet. Laut türkischen Angaben sind seither 9,3 Millionen Tonnen Getreide verschifft worden. Es war verabredet worden, dass die Schiffe und ihre Fracht jeweils bei der Durchfahrt durch die türkische Meerenge Bosporus kontrolliert werden.
Ursprünglich sollte das Abkommen am 19. November auslaufen - wäre aber, wenn keine Seite widersprochen hätte, automatisch verlängert werden. Moskau hatte das Abkommen zuletzt immer wieder kritisiert, weil es sich infolge der Sanktionen des Westens bei den eigenen Getreide- und Düngemittelexporten ausgebremst sieht.
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