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Umstrittene Cannabis-Freigabe: Experten nehmen Stellung

Bis zum Jahreswechsel will die Ampel eigentlich noch die Cannabis-Freigabe durchs Parlament bringen. Eine Expertenanhörung macht deutlich, wie kontrovers das Thema weiterhin ist.

Cannabis-Joint
Eine Frau hält einen Joint in der Hand. Foto: Annette Riedl/DPA
Eine Frau hält einen Joint in der Hand.
Foto: Annette Riedl/DPA

Knapp zwei Monate vor der geplanten Cannabis-Freigabe in Deutschland machen Stellungnahmen von Fachleuten aus Polizei, Justiz, Suchthilfe und Medizin noch einmal deutlich, wie umstritten die Pläne weiterhin sind. An diesem Montag kommen Expertinnen und Experten bei einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Parlaments zu Wort. Ihre Stellungnahmen lagen vorab vor.

25 Gramm, drei Pflanzen und Anbau in Clubs erlaubt

Der Gesetzentwurf der Ampel sieht vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Für Volljährige ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Privat sollen maximal drei Pflanzen angebaut werden dürfen. In Cannabis-Clubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen.

Mächtige Verbände stemmen sich dagegen

Mächtige Verbände wie die Bundesärztekammer, der Deutsche Richterbund, die Gewerkschaft der Polizei und medizinische Fachgesellschaften stemmen sich weiterhin gegen das Gesetz. Der Richterbund äußert »erhebliche Bedenken« und rechnet wie auch Vertreter von Polizeigewerkschaften mit mehr Arbeit für Strafverfolgungsbehörden und Justiz, da die Vorgaben für die künftigen Cannabis-Clubs und zu Anbau und Abgabe der Droge auch überwacht und Verstöße geahndet werden müssen. Befürchtet wird auch, dass der Schwarzmarkt nicht kleiner, sondern größer wird, da Besitz und Erwerb von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei werden, egal ob es auf dem Schwarzmarkt oder legal erworben wurde.

Mediziner rechnen mit Zunahme des Konsums

Medizinerverbände warnen vor allem vor Gesundheitsgefahren. Die Bundesärztekammer sieht »eine relevante Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen der jungen Generation in Deutschland«. Sie rechnet mit einer Zunahme des Cannabiskonsums und damit zusammenhängenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Problemen. Verbände und Fachgesellschaften der Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie warnen ebenfalls.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie hält die geplante Altersgrenze für den Zugang zu Cannabis mit 18 Jahren für zu niedrig, »da die Gehirnentwicklung in der Regel bis Mitte 20 noch nicht abgeschlossen ist«. Bis dahin solle die Droge unter anderem wegen eines erhöhten Psychoserisikos nicht konsumiert werden, so der Verband.

Befürworter argumentieren mit Entkriminalisierung

Auf der anderen Seite stehen Befürworter des Vorhabens. »Eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum ist nicht mehr zu rechtfertigen«, heißt es etwa von der »Neuen Richtervereinigung«, einem reformorientierten Verband von Richtern und Staatsanwälten. Der Konsum sei trotz aller Verbotsbemühungen weit verbreitet. Der Deutsche Anwaltverein begrüßt die Cannabis-Freigabe »ausdrücklich«, er sieht dadurch das Strafrecht entlastet. Vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Uni Hamburg heißt es, das Gesetz erkenne in erster Linie »gesellschaftliche Realitäten« an. 2021 habe etwa jeder zehnte im Alter von 18 bis 59 mindestens einmal im Jahr Cannabis konsumiert.

Der von der SPD eingeladene Sachverständige und Strafrechtsprofessor Mustafa Temmuz Oğlakcioğlu weist die Zweifel des Richterbundes bezüglich einer Entlastung der Behörden zurück. »Allein die schiere Anzahl von zuletzt über 180.000 (!) konsumbezogenen Cannabis-Verfahren pro Jahr bindet offenkundig erhebliche Ressourcen«, schreibt er in seiner Stellungnahme.

Grenze zwischen Pro und Kontra fließend

Die Grenze zwischen Pro und Kontra verläuft aber auch fließend. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin bewertet die »Ansätze zur Entkriminalisierung von Konsumenten« im Gesetz als positiv. Der Verband warnt aber auch davor, dass durch die Freigabe die Zahl der Personen mit Intoxikationen (Vergiftungen) oder Intoxikationspsychosen deutlich zunehmen könnte.

Die Bundespsychiotherapeutenkammer weist auf die Gefahren des Drogen-Konsums unter 25 Jahren wegen der noch nicht abgeschlossenen Gehirnentwicklung hin. Sie bezeichnet aber die Altersgrenze von 18 Jahren und die Vorgabe, dass Cannabis-Clubs nur weniger potentes Cannabis an unter 21-Jährige abgeben dürfen sollen, als »guten Kompromiss (...) zwischen einem vertretbaren Gesundheitsrisiko für das noch nicht ganz ausgereifte Gehirn und der Verhinderung, dass der Cannabisgebrauch ab dem durchschnittlichen Einstiegsalter von circa 15 Jahren zu lange verheimlicht oder tabuisiert wird«.

»Legal, aber...risky«

Wie geht es jetzt weiter? Nach der Expertenanhörung am Montag muss der Bundestag das Gesetz noch beschließen. Das war bislang nach dpa-Informationen für die vorletzte Sitzungswoche des Jahres Ende November geplant. Eine Zustimmung im Bundesrat ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht nötig. In einem »Fragen und Antworten« auf dessen Internetseite heißt es, das Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes sei für Anfang 2024 vorgesehen. Und weiter: »Ab Inkrafttreten können Erwachsene nach dem vorgelegten Gesetzesentwurf in Deutschland legal einen Joint rauchen.«

Ob der Zeitplan zu halten sein wird, ist aber offen, da noch an Details des umfangreichen Gesetzes gefeilt wird. Parallel läuft eine Kampagne des Gesundheitsministerium im Netz, die vor den Gesundheitsgefahren des Cannabis-Konsums warnt. Videoclips mit Slogans wie »Legal, aber...risky« oder »Legal aber...Letzter« richten sich vor allem an junge Leute.

© dpa-infocom, dpa:231105-99-829443/3