Die Union will in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur politischen Aufarbeitung des Steuerskandals der Hamburger Warburg-Bank den heutigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) ins Visier nehmen.
Zu seiner Rolle als früherer Hamburger Bürgermeister gebe es viele Widersprüche und Ungereimtheiten, die auch ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft bislang nicht habe ausräumen können, sagte Matthias Hauer, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, in Berlin. Da die Ampel-Koalition es mehrfach verhindert habe, Scholz vor den Finanzausschuss zu laden, sei ein Untersuchungsausschuss des Bundestags unausweichlich.
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) kündigte an, dass der Untersuchungsausschuss in der ersten Parlamentswoche nach den Osterferien beantragt werden soll. Voraussichtlich könnte er dann noch vor der Sommerpause seine Arbeit aufnehmen.
Warum sollte auf Rückforderungen verzichtet werden?
Der Ausschuss soll den Angaben zufolge klären, warum 2016 und 2017 von der Hamburger Finanzbehörde entgegen ursprünglicher Planungen zunächst auf Rückforderungen gegen die Bank in Höhe von 47 beziehungsweise 43 Millionen verzichtet werden sollte. »Wer trägt politisch die Verantwortung dafür, dass Hamburg in den Jahren 2016 und 2017 als einziges der 16 Bundesländer zu Unrecht gezahlte Steuererstattungen aus «Cum-Ex»-Geschäften nicht zurückfordern wollte?«, fragte Middelberg.
Scholz hatte in dieser Zeit mehrfach den Warburg-Bank-Mitgesellschafter Christian Olearius im Rathaus empfangen, gegen den damals bereits wegen schweren Steuerbetrugs im Zusammenhang mit »Cum-Ex«-Geschäften ermittelt wurde.
Scholz beruft sich auf Erinnerungslücken
Scholz hatte die Treffen nach deren Bekanntwerden 2020 sukzessive eingeräumt, eine Einflussnahme auf den Steuerfall aber kategorisch ausgeschlossen - auch wenn er sich nach eigenen Angaben gar nicht mehr an die Gespräche erinnern kann.
Middelberg zufolge soll vom Untersuchungsausschuss geprüft werden, ob diese Erinnerungslücken glaubhaft sind. Anders als bei strafrechtlichen Ermittlungen gelte hier nicht der Grundsatz »in dubio pro reo« (im Zweifel für den Angeklagten). Der Union gehe es darum, den Sachverhalt aufzuhellen. Hinsichtlich der Aussagen von Scholz müsse dann jeder für sich beurteilen, ob er das für glaubhaft halte.
»Wir glauben, dass die Indizien, die für eine politische Einflussnahme in dem Steuerfall Warburg sprechen, immer reichhaltiger geworden sind«, sagte er. Anders sei der Meinungsumschwung der Hamburger Finanzbehörde nicht plausibel zu erklären. Hauer sagte, Scholz sollte selbst das größte Interesse daran haben, reinen Tisch zu machen. Es gehe um seine Glaubwürdigkeit.
Die Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Franziska Hoppermann sagte, ein Untersuchungsausschuss im Bundestag habe ganz andere Möglichkeiten der Ermittlungstiefe als der Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. »Es geht hier auch nicht um eine rein Hamburgische Angelegenheit, sondern um den Vollzug von Bundesrecht«, betonte Middelberg. Schließlich seien ganz konkret Steuereinnahmen des Bundes betroffen gewesen.
Nach einem Gerichtsurteil hatte die Bank 2020 eigenen Angaben zufolge schließlich alle ausstehenden Steuerrückforderungen beglichen, sie versucht aber auf juristischem Weg weiter, das Geld zurückzubekommen.
Kritik von der SPD
Die SPD warf der Union vor, aus »parteitaktischen Interessen« einen Untersuchungsausschuss einsetzen zu wollen. »Das Thema ist parlamentarisch und gesellschaftlich vollumfänglich aufgearbeitet und transparent«, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, der Deutschen Presse-Agentur. »Die Union hat kein Erkenntnisinteresse, sondern folgt parteitaktischen Interessen. Sie bringt Behauptungen vor, die längt widerlegt sind.«
Der 2020 in Hamburg zu dem Thema eingesetzte Untersuchungsausschuss habe alle Fragen geklärt, und es gebe kein neues Erkenntnisinteresse, sagte Mast. »CDU-Chef Friedrich Merz bleibt sich treu: Ihm ist jedes Mittel recht.«
Milliardenschaden für den Staat
Bei »Cum-Ex«-Geschäften wurden Aktienpakete von mehreren Beteiligten rund um den Dividendenstichtag mit (»cum«) und ohne (»ex«) Ausschüttungsanspruch hin und her verschoben. In der Folge erstatteten Finanzämter Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand so ein Milliardenschaden.
Der Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft befasst sich seit knapp zweieinhalb Jahren mit dem Fall der Warburg Bank und der Rolle führender Hamburger SPD-Politiker. Einen Beweis für eine politische Einflussnahme wurde bislang nicht erbracht.
Im Bundestag verfügen CDU und CSU allein über die für die Einberufung eines Untersuchungsausschusses nötige Stimmenzahl von mindestens einem Viertel der Abgeordneten. Man lade die anderen Fraktionen ein, an der Aufklärung mitzuarbeiten, sagte Hauer. Den Antrag wollen CDU und CSU aber allein stellen.
Die Linke prüfe eine Unterstützung, sagte ihr finanzpolitischer Sprecher Christian Görke. »Klar ist: die Widersprüche und offenen Fragen müssen aufgeklärt werden. Ein Untersuchungsausschuss scheint notwendig, da sich der heutige Bundeskanzler weiter weigert, sich den Fragen im Finanzausschuss des Bundestages zu stellen.«
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