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Terror in Wien: Täter war Anhänger des IS

Er wollte sich in Syrien dem IS anschließen. Die Behörden hielten ihn auf. Er kam in Haft, wurde aber wieder freigelassen. Nun hat der 20-jährige Islamist in der Wiener Innenstadt einen Anschlag verübt.

Absperrung
Polizeibeamte patrouillieren am frühen Morgen auf einer abgesperrten Straße im Wiener Stadtzentrum. Foto: Ronald Zak/AP/dpa
Polizeibeamte patrouillieren am frühen Morgen auf einer abgesperrten Straße im Wiener Stadtzentrum. Foto: Ronald Zak/AP/dpa
WIEN. Der Attentäter von Wien war nach offiziellen Angaben ein Anhänger der radikalislamistischen Terrormiliz IS und hatte nordmazedonische Wurzeln.

Der 20-jährige Kujtim Fejzulai hatte nach Angaben der Behörden am Montagabend nahe der Hauptsynagoge in der Wiener Innenstadt um sich geschossen, dabei mindestens vier Menschen getötet und mehr als ein Dutzend weitere verletzt. Anschließend wurde er von der Polizei erschossen. Sein konkretes Motiv war zunächst unklar.

Es kamen ein älterer Mann, eine ältere Frau, ein junger Passant und eine Kellnerin ums Leben, wie Kanzler Sebastian Kurz am Dienstag sagte. Mindestens sieben Menschen seien »in kritischem, lebensbedrohlichem Zustand«, sagte eine Klinikverbandssprecherin.

Der Attentäter wollte in der Vergangenheit nach Syrien ausreisen, um sich dort der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen, teilte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) der Nachrichtenagentur APA mit. Er wurde daran gehindert und am 25. April 2019 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt. Der Mann sei jedoch am 5. Dezember »vorzeitig bedingt entlassen« worden. Demnach galt er als junger Erwachsener und fiel damit unter die Privilegien des Jugendgerichtsgesetzes. Der 20-jährige hatte einen österreichischen und nordmazedonischen Pass. Ob er einen oder mehrere Komplizen hatte, ist noch unklar.

Kurz warnte in einer Fernsehansprache vor einer Spaltung der Gesellschaft. »Es muss uns stets bewusst sein, dass dies keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten ist.« Es sei ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glaubten, und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschten. Religion und Herkunft dürften nie Hass begründen. »Wir werden die Opfer des gestrigen Abends niemals vergessen und gemeinsam unsere Grundwerte verteidigen.«

Vor Ort
Polizeiautos in der Wiener Innenstadt unweit des Tatortes. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa
Polizeiautos in der Wiener Innenstadt unweit des Tatortes. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

Ein Polizist, der sich dem Täter entgegengestellt habe, sei niedergeschossen und verletzt worden, sagte Kurz. Nach Angaben der Kliniksprecherin befindet er sich »kritisch-stabilem« Zustand.

Innenminister Nehammer erklärte am Dienstag zum Attentäter: »Er war mit einer Sprengstoffgürtel-Attrappe und einer automatischen Langwaffe, einer Faustfeuerwaffe und einer Machete ausgestattet, um diesen widerwärtigen Anschlag auf unschuldige Bürgerinnen und Bürger zu verüben.« Er habe offenbar Panik verbreiten wollen. Es habe umfangreiche Razzien im Umfeld des Täters gegeben. Dabei seien mehrere Personen festgenommen worden.

In St. Pölten wurden zwei Menschen festgenommen. Wie APA unter Berufung auf einen Polizeisprecher berichtete, gab es in der niederösterreichischen Landeshauptstadt zudem zwei Hausdurchsuchungen. Der »Kurier« berichtete am Dienstag auf seiner Website, es handele sich um Kontaktadressen des mutmaßlichen Attentäters. Widerstand geleistet habe niemand.

Österreich ehrt die Opfer des Terrorakts vom Montagabend mit einer dreitägigen Staatstrauer. Das beschloss der Sonder-Ministerrat am Dienstag in Wien. »Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Opfern, den Verletzten und den Angehörigen in diesen besonders schweren Stunden für die Republik Österreich«, sagte Kanzler Kurz vor dem Kabinett. Die Staatstrauer gilt bis einschließlich Donnerstag.

Die Ereignisse hätten das Land schwer erschüttert. Es handele sich um eine »abscheuliche Tat« und »einen Anschlag auf die Freiheit und Demokratie der Republik Österreich«, so der Regierungschef. Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht trotz der Terror-Attacke die liberale Demokratie nicht gefährdet. »Hass kann niemals so stark sein wie unsere Gemeinschaft in Freiheit, in Demokratie, in Toleranz und in Liebe«, sagte das Staatsoberhaupt.

Am Dienstag, dem ersten Tag der Staatstrauer, sollte um 12 Uhr eine »Minute des stillen Gedenkens« eingehalten werden. Gegen Mittag wollten Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sowie die Fraktionschefs der Parlamentsparteien im Bundeskanzleramt zu einem Gespräch empfangen. Danach war eine gemeinsame Kranzniederlegung am Tatort geplant, um der Opfer zu gedenken. Die Schulen sollen zu Beginn des Unterrichts am Mittwoch eine Gedenkminute einhalten.

Wegen der weiteren polizeilichen Ermittlungen wurden die Bürger aufgerufen, die Innenstadt zu meiden. Die Wiener Innenstadt war zeitweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr erreichbar. Weder Busse noch Bahnen steuerten Ziele im historischen Kern der Zwei-Millionen-Metropole an.

Die Bevölkerung habe der Polizei inzwischen Tausende von Videoaufnahmen für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt. Die Wohnung des Verdächtigen sei auf der Suche nach belastendem Material durchsucht worden, hieß es. 1000 Beamte seien in Wien im Einsatz.

Kontrolle
Schwerbewaffnete Polizisten kontrollieren in der Wiener Innenstadt eine Person. Foto: Roland Schlager/APA/dpa
Schwerbewaffnete Polizisten kontrollieren in der Wiener Innenstadt eine Person. Foto: Roland Schlager/APA/dpa

Der Terrorangriff ereignete sich wenige Stunden vor Beginn des teilweisen Lockdowns in Österreich. Seit Mitternacht sind alle Gaststätten im Kampf gegen die Corona-Pandemie geschlossen. Die ersten Schüsse fielen am Montag gegen 20 Uhr nahe der Synagoge in einem Ausgehviertel Wiens. Nach Augenzeugenberichten feuerte der Täter wahllos in die Lokale. Ein Mann brach tödlich getroffen auf einem Bürgersteig zusammen. Passanten rannten in Panik davon. Einige hoben die Hände, um der Polizei zu zeigen, dass sie unbewaffnet sind.

Der Polizei zufolge gab es sechs verschiedene Tatorte. Einer davon liegt direkt neben der Synagoge. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, schrieb auf Twitter, es könne nicht gesagt werden, ob sie eines der Ziele war. »Fest steht allerdings, dass sowohl die Synagoge (...) als auch das Bürogebäude an derselben Adresse zum Zeitpunkt der ersten Schüsse nicht mehr in Betrieb und geschlossen waren.«

Spitzenpolitiker in aller Welt zeigten sich betroffen. »Wir Deutsche stehen in Anteilnahme und Solidarität an der Seite unserer österreichischen Freunde. Der islamistische Terror ist unser gemeinsamer Feind. Der Kampf gegen diese Mörder und ihre Anstifter ist unser gemeinsamer Kampf«, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel über Twitter mitteilen.

»Nach einem weiteren abscheulichen Terrorakt in Europa sind unsere Gebete bei den Menschen in Wien«, schrieb US-Präsident Donald Trump am späten Montagabend (Ortszeit) auf Twitter. Die USA stünden an der Seite Österreichs, Frankreichs und ganz Europas im Kampf gegen Terroristen, einschließlich radikal-islamische Terroristen.

Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden twitterte, er und seine Frau Jill beteten nach dem schrecklichen Terrorangriff in Wien für die Opfer und deren Familien. »Wir müssen alle vereint gegen Hass und Gewalt eintreten«, ergänzte er. In den USA wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt.

Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilte den Terroranschlag als »brutales und zynisches Verbrechen«. Israels Staats- und Regierungsspitze verurteilte die Attacke ebenso wie die Türkei. »Wir sind traurig über die Nachricht, dass es infolge des Terroranschlags in Wien Tote und Verwundete gibt«, teilte das Außenministerium in Ankara mit.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Deutsch auf Twitter: »Nach Frankreich ist es ein befreundetes Land, das angegriffen wird. Dies ist unser Europa. Unsere Feinde müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wir werden nichts nachgeben.« In Frankreich hatte es in den vergangenen Wochen drei Anschläge gegeben, die Ermittler gehen jeweils von einem islamistischen Hintergrund aus. (dpa)