Chinas Drohungen gegen Taiwan sind nach Ansicht deutscher Parlamentarier nicht hinnehmbar. Bei dem Empfang einer Bundestagsdelegation durch Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Montag in Taipeh verglich der Vorsitzende der Abgeordnetengruppe, Klaus-Peter Willsch, die Situation mit dem Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Der Bundestag habe mehrfach deutlich gemacht, »dass wir es nicht für akzeptabel halten, dass sie von einem Nachbarn bedroht werden«, sagte Willsch der Präsidentin.
Taiwan dürfe nicht mit Militärgewalt in eine »nicht gewollte Zusammenarbeit gezwängt« werden. Der Bundestag sei da »deutlich in seiner Ablehnung«, sagte der CDU-Politiker. Das Treffen der sechs Abgeordneten mit der Präsidentin war der protokollarische Höhepunkt des ersten Besuches einer Bundestagsdelegation in Taiwan seit Ausbruch der Pandemie Ende 2019. Geplant sind auch Begegnungen mit Außenminister Joseph Wu und Parlamentschef You Si-kun.
Die Visite sorgt für heftige Verstimmung in den deutsch-chinesischen Beziehungen. »Taiwan ist ein untrennbarer Teil des chinesischen Territoriums«, bekräftigte ein Außenamtssprecher in Peking. Die Regierung der Volksrepublik sei die einzige legitime Regierung ganz Chinas. Die Abgeordneten sollten sich an den »Ein-China-Grundsatz« halten und ihre Interaktionen mit den »separatistischen Unabhängigkeitskräften« in Taiwan »sofort« einstellen.
Willsch: »Völlige Überreaktion«
»Wir haben wahrgenommen, dass es nicht jedermann gefällt, dass wir hier sind«, sagte Willsch. »Aber das kümmert uns nicht.« Der Bundestag entscheide selbst über seine Beziehungen zu befreundeten Parlamenten. Schon zuvor hatte der CDU-Politiker von einer »völligen Überreaktion einer nervösen Diktatur« gesprochen, die auf Worte mit Raketen und militärischer Aggression reagiere. »Ein Austausch von Parlamentariern darf weder als Vorwand für ein säbelrasselndes Verhalten der chinesischen Kommunisten noch als Entschuldigung für eine weitere Verletzung von Taiwans See- und Luftraum dienen.«
Chinas Führung sieht den demokratischen Inselstaat als Teil der Volksrepublik an und lehnt solche offiziellen Kontakte anderer Länder zu Taipeh entschieden ab. Taiwan hingegen sieht sich schon lange als unabhängig an. Die Spannungen hatten sich jüngst verschärft. Als Reaktion auf den Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Anfang August hatte China großangelegte Manöver gestartet. Dabei wurde auch die angedrohte Eroberung der Insel geübt. Mit verstärkten Einsätzen von Kriegsschiffen und Flugzeugen nahe Taiwan hält die Volksbefreiungsarmee seither den Druck aufrecht.
Kritik an Militärmanövern
Taiwans Präsidentin warf China vor, mit den Militärmanövern »die regionale Ordnung zu stören«. Tsai Ing-wen dankte Deutschland für die Unterstützung auch im Vorsitz der Gruppe der sieben großen Industrieländer (G7). Angesichts der »Expansion des Autokratismus« müssten sich die Demokratien zusammenschließen, um ihre demokratischen Werte zu verteidigen. Taiwan wolle die Kooperation mit Deutschland ausbauen, um gemeinsam Werte wie Gerechtigkeit, Frieden und ökologische Nachhaltigkeit zu verwirklichen.
Der CDU-Politiker Willsch hob hervor, Taiwans Volk könne stolz darauf sein, was es aufgebaut habe: »Eine funktionierende Demokratie, ein Leuchtturm der Freiheit in Asien.« Taiwan sei der lebende Beweis dafür, »dass auch Chinesen in Demokratie leben und das gut ausgestalten können«. Hinzu komme der wirtschaftliche Erfolg: Taiwan sei der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands in Asien. »Die ganze Welt schreit nach Digitalisierung, aber wie sollten wir das erreichen ohne die Halbleiter, die in Taiwan produziert werden«, sagte Willsch.
Nach einer Visite französischer Parlamentarier Anfang September ist der »Freundeskreis Berlin-Taipeh« die zweite Parlamentsdelegation eines größeren EU-Mitglieds, die Taiwan besucht. Ende Oktober plant auch der Menschenrechtsausschuss des Bundestags einen Besuch.
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