Kurz vor der Präsidentenwahl in der Türkei hat einer der drei Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Rückzug erklärt. Damit spitzt sich die ohnehin enge Richtungswahl zwischen Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu weiter zu. Muharrem Ince, unterlegener Präsidentschaftskandidat von 2018, zog seine Kandidatur zurück. In der Türkei werden am Sonntag ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt.
In den vergangenen Tagen waren Korruptionsvorwürfe gegen Ince laut geworden und kompromittierende Bilder aufgetaucht. Ob diese authentisch sind, ist völlig unklar. Der 59-Jährige sagte, er wolle nicht, dass der größere Oppositionsblock, der hinter Kilicdaroglu stehe, ihn für dessen mögliche Niederlage verantwortlich mache.
Amtsinhaber Erdogan reagierte mit Bedauern auf das Ausscheiden seines Kontrahenten: »Es tut mir wirklich leid«. Ince hatte laut Umfragen keine Chance auf eine Präsidentschaft. Allerdings hatten Erdogan-Kritiker befürchtet, Inces Teilnahme könne einen Sieg des Oppositionsführers Kilicdaroglu weniger wahrscheinlich machen.
Stichwahl könnte kommen
Laut Umfrageinstitut Metropoll lag Ince zuletzt bei 1,2 Prozent der Stimmen, Erdogan bei 44 Prozent und sein Herausforderer Kilicdaroglu bei 46 Prozent. Den dritten Herausforderer, Sinan Ogan, sahen Umfragen bei 2,6 Prozent. Sollte keiner der Kandidaten in der ersten Runde mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, wird am 28.5. eine Stichwahl notwendig.
Ince hat bislang keine Wahlempfehlung für einen anderen Kandidaten abgegeben. Ogan, Kandidat einer Allianz ultranationalistischer Parteien, twitterte, dies sei erst der Anfang. Er zerstreute damit Annahmen, er könne ebenfalls ausscheiden.
Auf den Wahlzetteln wird Inces Name am Sonntag trotzdem aufgeführt sein. Auch bei den Wahlen im Ausland, die in großen Teilen am Dienstag abgeschlossen wurden, wurde er als Kandidat geführt.
Erdogan versuchte zuletzt, die Wähler mit Wahlversprechen von sich zu überzeugen. Er erklärte, das niedrigste Gehalt im öffentlichen Dienst werde im Juli auf umgerechnet 1030 Euro und damit das doppelte steigen - sofern er wiedergewählt werde. Ein ähnliches Versprechen hatte auch Kilicdaroglu zuvor gemacht.
Die Wahlen werden von mehreren Krisen begleitet. Die Landeswährung Lira hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 52 Prozent ihre Wertes gegenüber dem Euro verloren, die Inflation im Land liegt bei rund 44 Prozent. Der Südosten des Landes kämpft zudem mit den verheerenden Folgen der Erdbeben von Anfang Februar.
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