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Stoltenberg »absolut überzeugt« von Schwedens Nato-Beitritt

In den Streit um den Beitritt Schwedens zur Nato ist Bewegung gekommen. Der türkische Präsident Erdogan gibt offenbar seine Blockadehaltung auf. Es ist ein Schritt nach vorn - aber kein verbindlicher.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: »Dieser Gipfel ist bereits historisch bevor er begonnen hat«. Foto: Mindaugas Kulbis/DPA
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: »Dieser Gipfel ist bereits historisch bevor er begonnen hat«.
Foto: Mindaugas Kulbis/DPA

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht die Nato mit dem Ende der türkischen Blockade gegen den Beitritt Schwedens insgesamt gestärkt. Die mit Präsident Recep Tayyip Erdogan am Vorabend getroffene Übereinkunft stärke die Verteidigung des Bündnisses deutlich und sei auch im Interesse der Türkei selbst, sagt Stoltenberg am Morgen in Vilnius vor dem offiziellen Beginn des Nato-Gipfels. Er sei »absolut überzeugt«, dass die Türkei das Beitrittsprotokoll für Schweden nun ratifizieren werde und das Hauptproblem gelöst sei, sagte er. »Dieser Gipfel ist bereits historisch bevor er begonnen hat«, so Stoltenberg.

Erdogan hatte am Vorabend seine Blockade eines Beitritts von Schweden aufgegeben und will nach Angaben der Nato dem türkischen Parlament das Beitrittsprotokoll zur Entscheidung vorlegen.

Die Abstimmung in der Großen Nationalversammlung der Türkei gilt als Formsache. Erdogans islamisch-konservative AKP hat im Bündnis mit den Ultranationalisten im Parlament eine komfortable Mehrheit.

Mit Beratungen über die weitere Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der Abschreckung und Verteidigung gegen Russland beginnt der zweitägige Nato-Gipfel heute in Litauen. Stoltenberg will, dass von dem Spitzentreffen ein klares Signal an Russlands Präsident Wladimir Putin ausgeht. Dieser muss nach Auffassung des Norwegers einsehen, dass der Krieg gegen die Ukraine zum Scheitern verurteilt ist und jede Aggression gegen einen Nato-Staat eine entschlossene Reaktion des gesamten Bündnisses zur Folge hätte.

»Das ist ein guter Tag für Schweden gewesen«

Der Streit um Schwedens Nato-Mitgliedschaft drohte das Treffen in Vilnius zu überschatten. Entsprechend groß war die Erleichterung, nachdem Erdogan seine Blockadehaltung aufgegeben hatte. Schwedens Ministerpräsident Kristersson sagte: »Das ist ein guter Tag für Schweden gewesen.« US-Präsident Joe Biden begrüßte die Entscheidung der Türkei und sagte, er freue sich darauf, Schweden als 32. Nato-Mitglied willkommen zu heißen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Einigung auf Twitter als »historischen Schritt«.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg verwies auf mehrere Schritte, die Schweden vollzogen hatte, darunter Änderungen an der Verfassung und an Gesetzen, eine Ausweitung von Anti-Terror-Kooperationen gegen die kurdische PKK und die Wiederaufnahme von Waffenexporten in die Türkei. Beide Staaten wollen künftig bilateral über Sicherheit sprechen. Die Nato werde zudem erstmals den Posten eines Sonderkoordinators für Anti-Terror-Aufgaben bekommen, so Stoltenberg. Einer Antwort auf die Frage, wann der Nato-Betritt Schwedens vollzogen sein könnte, wich er aus.

Erdogan brüskiert Nato-Partner mit Forderung

Überraschend hatte Erdogan kurz vor dem Gipfelstart die Zustimmung seines Landes zur Aufnahme Schwedens in die Nato zunächst davon abhängig gemacht, dass der vor Jahren auf Eis gelegte EU-Beitrittsprozess für die Türkei wieder aufgenommen wird. Problematisch ist dies, weil die EU der Türkei seit Jahren vorwirft, demokratische und rechtsstaatliche Standards nicht zu erfüllen. Eine Aufnahme der Türkei gilt deswegen auf Jahre hinaus als illusorisch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich klar gegen eine Verknüpfung des Nato-Beitritts Schwedens mit dem EU-Beitrittsprozess der Türkei aus. Beide Fragen hingen nicht miteinander zusammen.

Noch keine Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine

Deutschland erteilte dem ukrainischen Wunsch nach einer formellen Einladung in die Nato eine Absage. »Für eine Einladung der Ukraine, für konkrete Schritte in Richtung Mitgliedschaft (ist) der Zeitpunkt nicht da. Hierfür gibt es auch unter den Verbündeten keinen Konsens«, hieß es aus Regierungskreisen.

Nach Angaben von Diplomaten anderer Nato-Staaten stemmt die Bundesregierung sich in den Verhandlungen über die geplante Gipfelerklärung zudem gegen eine Formulierung, dass die Ukraine einen »rechtmäßigen Platz« im Bündnis hat. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es zu der Ukraine-Passage in der Erklärung lediglich, dies sei eine »von fünf, sechs Fragen, die im Moment noch diskutiert werden«.

Stoltenberg räumte gestern ein, dass noch keine endgültige Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine getroffen worden sei. Das Land verteidigt sich seit 16 Monaten gegen einen Angriffskrieg Russlands. Konsultationen über die Bedingungen für den Weg der Ukraine zur Nato-Mitgliedschaft seien weiterhin im Gang.

Biden und Scholz wollen Selenskyj treffen

US-Präsident Joe Biden will beim Nato-Gipfel zu einem bilateralen Treffen mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj zusammenkommen. Die beiden wollten am Mittwoch über langfristige Sicherheitszusagen der USA für die Ukraine sprechen, teilt Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan mit. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) plant nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen am Mittwoch ein bilaterales Treffen mit Selenskyj. Bereits am Dienstagnachmittag will Scholz demnach mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan zusammenkommen. Selenskyj soll als Gast am Gipfel des Verteidigungsbündnisses in der litauischen Hauptstadt teilnehmen.

Gipfel soll Abschreckung und Verteidigung voranbringen

Nato-Generalsekretär Stoltenberg erwartet vom Gipfeltreffen ein Signal für eine stärkere Unterstützung der Ukraine. Besonders wichtig sei es, die weitere Versorgung der Ukraine mit Munition zu sichern, so Stoltenberg am Dienstag in Vilnius. Auf die Frage, ob der Gipfel dem von Russland angegriffenen Land für die Zeit nach dem Krieg Sicherheitsgarantien geben werde, sagte Stoltenberg, er erwarte klare Entscheidungen für eine Fortsetzung und Verstärkung der Ukraine-Hilfe. »Und ich bin auch zuversichtlich, dass die Verbündeten zur Frage einer Mitgliedschaft bekräftigen werden, dass die Ukraine ein Mitglied werden wird.«

Die insgesamt mehr als 4000 Seiten starken Verteidigungspläne beschreiben nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollten. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen.

© dpa-infocom, dpa:230710-99-348987/18