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Stichwahl um Präsidentenamt in Türkei - So geht es weiter

Die Wahlen in der Türkei sind noch nicht entschieden, aber für Erdogan sind sie jetzt schon eine Art Erfolg. Trotz Wirtschaftskrise hat er sich gegen ein historisch einmaliges Parteienbündnis durchgesetzt.

Türkei-Wahl
Anhänger von Kilicdaroglu jubeln vor der Parteizentrale in Ankara. Foto: AP
Anhänger von Kilicdaroglu jubeln vor der Parteizentrale in Ankara.
Foto: AP

Die Präsidentschaftswahlen in der Türkei gehen in die zweite Runde. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu stehen sich am 28. Mai in einer Stichwahl gegenüber. Dass die durch das nationalistische Lager entschieden werden könnte, scheint seit Sonntagabend fast gewiss.

Hat Erdogan die Wahl nun gewonnen oder verloren?

Beides. Bei die Präsidentschaftswahl hat Amtsinhaber Erdogan laut vorläufigen Endergebnissen zwar die meisten Stimmen erhalten und damit gewonnen. Die erforderliche absolute Mehrheit von mehr als 50 Prozent verpasste er aber knapp. Herausforderer Kilicdaroglu fehlten dafür mindestens fünf Prozentpunkte. Der drittplatzierte Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz erhielt 5,17 Prozent. Er scheidet damit aus, in der Stichwahl treffen nur zwei Kandidaten aufeinander.

Warum hat sich der Oppositionskandidat nicht durchgesetzt?

Kemal Kilicdaroglu trat als Kandidat eines für die Türkei einmaligen und über ideologische Gräben hinweg geschmiedeten Parteien-Bündnisses an. Er gab sich als Versöhner, vor allem aber als Gegenkandidat zu Erdogan, der im Wahlkampf gegen die Opposition und seine Kritiker hetzte. Diese Strategie ist zumindest vorerst nicht aufgegangen. Laut Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft und Politik hat Kilicdaroglu Teile des nationalistischen Lagers durch seine Annäherung mit der prokurdischen Partei HDP verloren. Äußerungen Erdogans, der das mit der Unterstützung von »Terroristen« gleichsetzte, hätten offenbar gefruchtet. Nun stecke die CHP in einem Dilemma: Die bitter benötigten Stimmen des Ultranationalisten Sinan Ogan könne er wohl nur auf Kosten der des kurdischen Lagers für sich gewinnen.

Wie geht es jetzt weiter?

Es ist das erste Mal in der Geschichte der Türkei, dass es zur Stichwahl um das Präsidentenamt kommt. Die 61 Millionen Wähler im Inland sind am 28. Mai erneut dazu aufgerufen, ihren Stempel unter einem der beiden Kandidaten zu machen. Auch die 3,4 Millionen Wahlberechtigten im Ausland müssen erneut an die Urne treten.

Wer ist Sinan Ogan?

Ogan trat als Präsidentschaftskandidat eines Rechtsaußen-Bündnisses säkularer Nationalisten an. Bei den Wahlen erhielt er deutlich mehr Stimmen als angenommen. Beobachter werten das als frustrierte Reaktion nationalistischer Wähler, die in der zweiten Runde nun wahlentscheidend werden könnten. Ogans Wähler gelten jedoch als zersplittert. Unter ihnen gibt es sowohl ehemalige Erdogan-Anhänger als auch eher der Opposition Zugeneigte.

Für eine Wahlempfehlung fordert Ogan Zugeständnisse von den Kandidaten der Stichwahl. Unter anderem will er eine Zusicherung, Flüchtlinge aus dem Land zu schaffen.

An wen ist das Parlament gegangen?

Zur Wahl des Parlaments gibt es noch keine vorläufigen Endergebnisse. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur hält die Allianz um Erdogan aber weiter ihre Mehrheit. Sie hat voraussichtlich weniger Sitze als in der vorigen Regierungsperiode, aber eine absolute Mehrheit.

Das Parlament ist unter Erdogan stark entmachtet worden. Dennoch könnte die AKP ihre Mehrheit dort dazu nutzen, Kilicdaroglu zu blockieren, sollte er die Stichwahl gewinnen.

Wer hat bessere Chancen bei der Stichwahl?

Offizielle Prognosen gibt es noch keine. Entscheidend wird unter anderem sein, wie sich die Wähler von Ogan entscheiden, der nicht in die Stichwahl zieht. Auch kommt es darauf an, wie viele Wähler Kilicdaroglu erneut mobilisieren kann nach der Enttäuschung über eine erste Quasi-Niederlage, die für viele seiner Anhänger unerwartet kam.

Beobachter gehen davon aus, dass die Mehrheit im Parlament den Ton dafür setzen könnte, wie die Abstimmung in zwei Wochen abläuft. Sollten Parlament und Präsident sich blockieren, droht eine Regierungskrise.

Wie hat das Ausland, wie hat Deutschland abgestimmt?

Bei den wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Deutschland zeichnet sich bei der Präsidentschaftswahl erneut eine deutliche Mehrheit für Recep Tayyip Erdogan ab. Auf den Amtsinhaber entfielen beim Stand von knapp 98 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland knapp zwei Drittel der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montag hervorging. Erdogan dürfte in Deutschland wohl wieder viel besser abschneiden als bei der Wahl insgesamt.

Sind die Wahlen fair abgelaufen?

Die Ergebnisse wurden bisher nicht massiv angezweifelt, weder von der Opposition noch von Wahlbeobachtern. Die Beobachtermission des Europarates und der OSZE bemängelte jedoch, dass die Türkei nicht die Voraussetzunge für demokratische Wahlen erfülle. Die Wahlen fanden unter sehr ungleichen Voraussetzungen statt: Erdogan und seine AKP kontrollieren die meisten Medien um Land. Ihre Deutung der Dinge kommt de facto sehr viel mehr vor. Auch bei der Verteilung der Wahlmittel gab es große Ungleichheiten zwischen Regierung und Opposition. Der prokurdischen Oppositionspartei HDP etwa drohte bis kurz vor der Wahl ein Verbot, was international als politisch motiviert eingestuft wurde.

© dpa-infocom, dpa:230515-99-701591/3