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Steinmeier telefoniert mit Selenskyj

Trotz des guten Willens Deutschlands zur Hilfe für die Ukraine herrschte wochenlang eine Art Eiszeit zwischen Berlin und Kiew. Doch jetzt scheint das Eis zu tauen.

Frank-Walter Steinmeier
Rund 45 Minuten dauerte das Telefonat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Foto: Bernd von Jutrczenka
Rund 45 Minuten dauerte das Telefonat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Nach wochenlanger Verärgerung zwischen Berlin und Kiew kommt Bewegung in die verfahrene Situation. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefonierte am Donnerstag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

»Irritationen der Vergangenheit wurden ausgeräumt«, teilte Steinmeiers Sprecherin Cerstin Gammelin anschließend mit. Selenskyj sprach auf Twitter von einem »guten, konstruktiven und wichtigen Gespräch«. Er lud, wie es aus dem Bundespräsidialamt hieß, sowohl Steinmeier persönlich wie auch die gesamte Bundesregierung zu Besuchen nach Kiew ein.

Baerbock und Bas reisen in die Ukraine

Als erstes Regierungsmitglied wird Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in den kommenden Tagen in die Ukraine reisen. Das war am Abend aus dem Auswärtigen Amt zu hören. Die Reisepläne seien »auch ein Ergebnis« des Gesprächs zwischen Steinmeier und dem ukrainischen Staatspräsidenten, hieß es dazu weiter. Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Abend bei einer Pressekonferenz angekündigt, Baerbock wolle »demnächst« in die Ukraine reisen.

Ob und wann er selber nach Kiew kommt, ließ der Kanzler allerdings offen. Und dass Baerbock eine Reise in die ukrainische Hauptstadt plant, hatte sie bereits am vergangenen Sonntag in einer Talkshow selber angedeutet - jedoch noch ohne einen konkreten Zeitpunkt zu nennen.

Zunächst wird am kommenden Wochenende die zweithöchste politische Repräsentantin Deutschlands dort erwartet: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) habe »den Wunsch zu einer Reise in die Ukraine, um auf Einladung ihres ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk gemeinsam mit ihm aller Opfer des Zweiten Weltkriegs zu gedenken und politische Gespräche zu führen«, sagte eine Bundestagssprecherin. Das Weltkriegsgedenken findet am 8. Mai, also am Sonntag statt. Dann wird das Kriegsende 1945 durch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht gefeiert.

Steinmeier und Selenskyj wollen »engen Kontakt« halten

»Der Bundespräsident hat dem ukrainischen Präsidenten seine Solidarität, Respekt und Unterstützung für den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes gegen die russischen Aggressoren ausgesprochen«, sagte die Sprecherin Steinmeiers weiter. Er und Selenskyj bezeichneten ihr Gespräch den Angaben zufolge als »sehr wichtig« und »sehr gut«. »Beide Präsidenten vereinbarten, in engem Kontakt zu bleiben.«

Selenskyj berichtete auf Twitter, er habe Steinmeier für die große Unterstützung gedankt. Kiew erwarte, dass diese noch gesteigert werde. Deutsche Führerschaft sei wichtig, um der russischen Aggression entgegenzutreten. Er habe Steinmeier auch über die Situation an der Front und die kritische Lage in Mariupol informiert. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, schrieb im Nachrichtendienst Telegram: »Deutschland bleibt ein mächtiger Verbündeter der Ukraine.«

Deswegen wollte Scholz nicht nach Kiew

Die Irritationen waren zustande gekommen, nachdem die ukrainische Seite Mitte April einen Besuch Steinmeiers in Kiew abgelehnt hatte. Der Bundespräsident wollte die ukrainische Hauptstadt zusammen mit den Präsidenten Polens und der drei baltischen Staaten besuchen, wurde zur Verärgerung Berlins aber im letzten Moment ausgeladen.

Wegen dieses Affronts lehnt Kanzler Scholz eine Reise nach Kiew seitdem ab, obwohl er dort, wie Botschafter Andrij Melnyk deutlich gemacht hat, willkommen wäre. »Es ist ein Problem, dass der Präsident der Bundesrepublik Deutschland ausgeladen wurde. Und das steht im Raum«, sagte Scholz zuletzt am Mittwoch nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg. Das sei eine Angelegenheit, »wo die Ukraine auch ihren Beitrag zu leisten muss, im Gespräch mit dem Bundespräsidenten, in Diskussionen, die da stattfinden.«

Die ersten Schritte sind getan

Dieser erste Schritt ist nun mit dem rund 45 Minuten langen Telefonat von Steinmeier und Selenskyj getan. Als zweiter Schritt kann die Teilnahme von Bundestagspräsidentin Bas am Weltkriegsgedenken in Kiew angesehen werden - eine Geste, die dort dem Vernehmen nach sehr geschätzt wird.

Der Stimmung in Berlin nicht förderlich war in den vergangenen Wochen auch die ständige Kritik aus der Ukraine an der angeblichen deutschen Zögerlichkeit bei der Lieferung von Waffen für den Abwehrkampf gegen Russland. In der kurzen Erklärung des Bundespräsidialamts zum Gespräch Steinmeiers mit Selenskyj wurde nochmals betont: »Deutschland hat die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf von Anfang an finanziell, wirtschaftlich und auch militärisch unterstützt und steht mit vereinten Kräften und solidarisch an der Seite der Ukrainer.« Daran ändere auch seine Ausladung nichts, wie Steinmeier mehrfach betonte.

Merz sieht sich als Vermittler

Wegen der Ausladung von Steinmeier und der dadurch verursachten Weigerung von Scholz, nach Kiew zu fahren, war der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz der erste hochrangige deutsche Politiker, der nach Ausbruch des Krieges dorthin kam. Für ihn nahm sich Präsident Selenskyj am vergangenen Dienstag gut eine Stunde Zeit. Merz schrieb es am Donnerstag sich zugute, dass es nun zur Entspannung zwischen Steinmeier und Selenskyj kam.

»Ich bin Präsident Selenskyj sehr dankbar, dass er meiner Bitte um eine Einladung des Bundespräsidenten gefolgt ist«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. »Der Weg ist jetzt frei für persönliche Begegnungen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers mit Präsident Selenskyj in Kiew.«

© dpa-infocom, dpa:220505-99-170121/10