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Steinmeier: Müssen deutsche Demokratie wehrhaft machen

Der Bundespräsident würdigt den Widerstand der Weißen Rose gegen das NS-Regime. Und er stellt klar: Ein Recht auf Widerstand wie gegen die Diktatur gibt es in unserer Demokratie nicht.

Frank-Walter Steinmeier
»Nichts rechtfertigt die Gleichsetzung des Protests in einer Demokratie mit dem Widerstand gegen eine Diktatur«: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: Britta Pedersen
»Nichts rechtfertigt die Gleichsetzung des Protests in einer Demokratie mit dem Widerstand gegen eine Diktatur«: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Foto: Britta Pedersen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu aufgerufen, die deutsche Demokratie gegen neue Bedrohungen von außen und zunehmende Angriffe von innen wehrhaft zu machen. Dazu gehöre angesichts des Krieges in der Ukraine »eine gut ausgerüstete und verteidigungsbereite Bundeswehr«, sagte er in München in einer Vorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Nötig seien zudem »engagierte Bürgerinnen und Bürger, die in ihrem politischen Urteil moralisch klar und fest sind, die sich einsetzen für unser Land, für die Demokratie«.

Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung

Steinmeier würdigte in seiner Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung den Widerstand dieser Gruppierung gegen das nationalsozialistische Regime. »Frieden, Freiheit, die Würde jedes Menschen und die Verantwortung jedes Einzelnen - diese Werte leiteten die Weiße Rose. Sie sind heute das Fundament unserer freiheitlichen Demokratie.«

Die vorwiegend studentische Gruppe um Hans und Sophie Scholl hatte mit Flugblättern zum Widerstand gegen die NS-Diktatur und zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges aufgerufen. Anfang 1943 wurden sie beim Verteilen von Flugblättern in der Universität überrascht und festgesetzt. Am 22. Februar richteten die Nazis die beiden Geschwister und ihren Freund Christoph Probst hin.

Die Weiße Rose habe vor 80 Jahren Widerstand gegen ein Schreckensregime geleistet, das mit jeder erdenklichen Brutalität gegen seine Gegner vorgegangen sei, sagte Steinmeier. Dieses verbrecherische Regime habe aus ihrer Sicht keinen Anspruch auf Gehorsam gehabt. »Es musste bekämpft werden.«

Diese Haltung habe die Frauen und Männer des deutschen Widerstands geeint, so unterschiedlich ihre Motive auch gewesen seien, sagte Steinmeier. Sie alle hätten mit der Legitimität ihres Handelns gerungen. »Am Ende kamen sie alle zu dem Schluss: Wer nicht handelte, wer schwieg, der tolerierte die Gewalt als Prinzip, das Unrecht als Normalität, den durch Deutschland verübten Völkermord. Wer nicht handelte und schwieg, der machte sich notwendigerweise der Komplizenschaft schuldig.« Deshalb sei Widerstand nicht nur erlaubt, sondern geboten. »Die Diktatur musste gestürzt werden.«

Steinmeier: Freiheiten heute Verfassungswirklichkeit

Vor diesem historischen Hintergrund sei es ärgerlich, wenn heute in der politischen Auseinandersetzung gelegentlich leichtfertig von »Widerstand« gesprochen werde. »Nichts rechtfertigt die Gleichsetzung des Protests in einer Demokratie mit dem Widerstand gegen eine Diktatur«, mahnte Steinmeier. Heute garantiere das Grundgesetz die Würde jedes einzelnen Menschen sowie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Diese Freiheiten seien Verfassungswirklichkeit. Das Verfassungsgericht wache darüber, dass diese Freiräume gewahrt blieben.

»In unserer Demokratie ist Widerspruch nicht nur ausdrücklich möglich. Er ist notwendig«, betonte Steinmeier. Kritik, Demonstrationen, auch Proteste gehörten zum Wesenskern der Demokratie. »Auch und gerade von Minderheiten; auch mit Mitteln, die die Mehrheit kritisiert, die sie stören, mit denen sie vielleicht auch auf die Nerven gehen.« Ein Recht auf Widerstand gebe es in unserer Demokratie aber nur für den einen Fall, dass sie abgeschafft werden solle.

Mit der Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung knüpfte Steinmeier an die Tradition einiger seiner Vorgänger an. 2013 wurde die Rede von Joachim Gauck gehalten, 2003 von Johannes Rau und 1993 von Richard von Weizsäcker.

© dpa-infocom, dpa:230206-99-496741/2