Zum Abschluss des ersten Wahljahrs nach dem Machtwechsel in Berlin hat die SPD von Kanzler Olaf Scholz noch einmal die Kurve gekriegt. Ihr Ministerpräsident Stephan Weil geht aus der Landtagswahl in Niedersachsen als Sieger hervor und ist bei der Regierungsbildung noch nicht einmal auf den bisherigen Koalitionspartner CDU angewiesen. Nach den ersten Hochrechnungen könnte es für eine rot-grüne Koalition reichen - selbst wenn die FDP in den Landtag einzieht.
Das Schwächeln der Liberalen könnte aber zum Problem für die Ampel werden. Ein angeschlagener und deswegen auf Krawall gebürsteter kleinster Koalitionspartner könnte das Regieren in Berlin noch schwerer machen.
SPD: Versöhnliches Ende eines durchwachsenen Wahljahres
Für die SPD endet ein durchwachsenes Wahljahr mehr als versöhnlich. Es hatte mit einem triumphalen Wahlsieg im Saarland begonnen, wo Anke Rehlinger die absolute Mehrheit für die Sozialdemokraten eroberte. Dann folgten zwei derbe Enttäuschungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern zog der Amtsbonus, die CDU-Ministerpräsidenten wurden wiedergewählt. Das war noch zu verkraften.
Eine Niederlage an diesem Sonntag wäre für die SPD aber einem Desaster gleichgekommen. Niedersachsen ist das einzige der fünf bevölkerungsreichsten Bundesländer, das noch sozialdemokratisch regiert wird. Eine Schlappe dort wäre vor allem Kanzler Scholz und seinen holprigen Bemühungen angelastet worden, die drastisch steigenden Energiepreise abzufedern.
Scholz: Mehr Beinfreiheit für den »Doppelwumms«
Der Wahlsieg verschafft Scholz nun etwas mehr Beinfreiheit für das weitere Krisenmanagement. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sprach in einer ersten Reaktion von »Rückenwind« für die anstehenden schwierigen Aufgaben. Anfang der Woche stellt die Gaspreis-Kommission ihre Ergebnisse vor, auf deren Grundlage die Bundesregierung entscheiden muss, wie sie den von Scholz angekündigten »Doppelwumms« zur Senkung der Preise genau gestalten will. Bis spätestens Mitte November werden dann Bund und Länder über die Finanzierung der Entlastungen der Bürger beraten.
Wahlsieger Weil wird für Scholz dann wohl weiter der Hauptverhandlungspartner sein. Er hat Anfang Oktober den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen, der nun in der Hand des Sozialdemokraten bleiben dürfte. Auch das wird Scholz die weitere Krisenbewältigung erleichtern.
FDP: Einzige echte Ampel-Verliererin
Die von der CDU erhoffte Abstrafung der Ampel ist also ausgeblieben. Mit einer Ausnahme: Die FDP geht als einzige klare Ampel-Verliererin aus der Wahl und dem gesamten Wahljahr hervor. Im März im Saarland nicht in den Landtag gekommen; im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus der Landesregierung geflogen; und jetzt in Niedersachsen schon wieder eine Zitterpartie entlang der Fünf-Prozent-Hürde. Da würde im Fußball schon mal die Trainerfrage gestellt - aber bei den Liberalen sitzt Parteichef Christian Lindner fest im Sattel.
Er räumte die Schlappe aber offen ein: »Wir haben einen politischen Rückschlag erlitten.« Sein Gewicht in der Ampel, wo ihm schwierige finanzpolitische Monate - Stichwort: Verteidigung der Schuldenbremse - bevorstehen, wird durch den Bedeutungsverlust der FDP nicht eben gestärkt. Das könnte zu neuen Profilierungsversuchen und damit auch neuem Ärger in der Ampel führen. Die Koalition stellt der Frontmann der Liberalen allerdings nicht in Frage - obwohl nach seinen Worten viele FDP-Wähler damit »fremdeln« würden: »Wir wissen um unsere Verantwortung für dieses Land und seine Menschen.«
Parteivize Wolfgang Kubicki fordert als Konsequenz, dass die FDP ihre Positionen in der Ampel »deutlicher markieren« müsse als bisher. Auf zentrale Herausforderungen in der Krise gebe es keine vernünftigen Antworten. »Daran werden wir arbeiten müssen, oder diese Ampel wird in schweres Fahrwasser kommen.«
Grüne: Es war mehr drin - aber die Regierungsbeteiligung winkt
Die Grünen konnten ihr Ergebnis zwar deutlich verbessern, aber es wäre wohl mehr drin gewesen. In den Umfragen lagen sie zwischenzeitlich über 20 Prozent. Nun werden sie deutlich unter dieser Marke landen. Auch das könnte für Frust sorgen. Allerdings winkt die Regierungsbeteiligung. Niedersachsen könnte das zwölfte Land werden, in dem sie mit an der Macht sind - eins mehr als die SPD und drei mehr als die Union.
CDU: Doch kein Triumphjahr
Und die Opposition? CDU-Chef Friedrich Merz wollte den Erfolg in Niedersachsen unbedingt. Ein gutes Dutzend Wahlkampfauftritte absolvierte er dort allein in der letzten Woche vor der Wahl. Kein Wunder, wäre es doch der perfekte Schlusspunkt unter einem weitgehend erfolgreichen Jahr gewesen. Der Verlust der Staatskanzlei im kleinen Saarland war dank der Wahlerfolge in Schleswig-Holstein und NRW schnell abgehakt. Aber da es nun auch in Hannover auf Oppositions- statt Regierungsbank hinausläuft, ist die Jahresbilanz doch ziemlich durchwachsen.
Es habe sich halt um eine Weil-Wahl gehandelt, lautete am Sonntagabend die Sprachregelung der CDU. In Krisenzeiten wählten die Menschen nun mal diejenigen, die gerade an der Macht seien, sagte der stellvertretende Parteichef Carsten Linnemann. »Diesen Amtsbonus hat Herr Weil volle Pulle ausgespielt, deswegen Glückwunsch.«
Wobei sich Merz zugute halten kann, die CDU nach der Pleite bei der Bundestagswahl binnen Jahresfrist bundesweit stabilisiert zu haben. In den Umfragen liegt sie wieder rund zehn Prozentpunkte vor der SPD - aber immer noch deutlich unter 30 Prozent. Was den Ansprüchen einer großen Volkspartei und eines Friedrich Merz nicht genügt. »Wir müssen schnell auf 30 Prozent kommen, das dauert noch ein wenig«, lautete die Zielvorgabe von Linnemann.
AfD: Comeback in der Krise
Die AfD hat nach drei Landtagswahlen mit Verlusten erstmals wieder hinzugewonnen und kommt nach den Hochrechnungen sogar auf ein zweistelliges Ergebnis. Das dürfte Wasser auf die Mühlen der Protestbewegung sein, die die rechte Partei in diesem Herbst auf die Beine stellen will. Einen Vorgeschmack gab es am Samstag in Berlin, als mehrere Tausend Menschen vor dem Reichstagsgebäude gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung demonstrierten, viele davon mit AfD-Fahnen. »Wir sind wieder da«, sagte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla am Sonntagabend.
Linke: Der Niedergang geht weiter
Für die Linke endet ein desaströses Wahljahr mit einem weiteren Desaster. Wie bei den anderen drei Wahlen zuvor bleibt sie deutlich unter der Fünf-Prozent-Marke. Die ohnehin schon existenzielle Krise der Partei dürfte das noch etwas weiter verschärfen.
Längere Wahlkampfpause steht bevor
Nach Niedersachsen folgt nun ein gutes halbes Jahr Wahlkampfpause. Und auch dann steht im Mai erstmal nur die Wahl in Bremen an, dem kleinsten Bundesland. Der Sachpolitik auf Bundesebene sind solche wahlkampffreien Phasen eher zuträglich. So richtig los mit dem Wahlkampf geht es erst wieder zu den Abstimmungen im Herbst 2023 in Bayern und Hessen.
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