Spanien hat die Suche nach den Zehntausenden anonym verscharrten Opfern des Bürgerkriegs (1936-1939) und der Diktatur von Francisco Franco (1939-1975) zur »Staatspflicht« erhoben. Das schreibt das umstrittene »Gesetz des demokratischen Andenkens« vor, das vom Senat in Madrid endgültig gebilligt wurde, wie die linke Regierung am späten Mittwochabend mitteilte.
Das auch »Gesetz der Enkel« genannte Werk regelt zudem das Recht auf Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während des Krieges und der Diktatur sowie in den ersten Demokratie-Jahren bis 1983. Das Gesetz sieht unter anderem Strafen von bis zu 150.000 Euro wegen Verherrlichung der Diktatur und anderer Verstöße vor. Die neuen Beschlüsse gehen viel weiter als das diejenigen von 2007, die den Umgang mit Denkmälern der Diktatur geregelt und erstmals einige Rechte der Opfer anerkannt hatten. »Wir Sozialisten haben uns immer für die Stärkung unserer Demokratie eingesetzt, und heute machen wir einen weiteren Schritt in Richtung Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Würde für alle Opfer«, schrieb Ministerpräsident Pedro Sánchez auf Twitter.
Spanien hat bis heute die Aufarbeitung seiner traumatischen Vergangenheit nicht abgeschlossen. Die konservative, liberale und rechtspopulistische Opposition votierte stets gegen das neue Gesetz, das ihrer Überzeugung nach »alte Wunden wieder aufreißt«. Auch konservative Medien werfen der Regierung »Revanchismus« vor.
Parteien des linken Spektrums, darunter auch der Juniorpartner in der Regierungskoalition, Unidas Podemos (UP), hatten dagegen gefordert, dass man noch viel weiter gehen und das Amnestiegesetz von 1977 annullieren müsse, mit dem das neue Gesetz kollidiere. Nichtsdestotrotz unterstützten sie das neue Gesetz. Es soll demnächst mit der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten.
Die Zahl der verschwundenen Opfer des Bürgerkriegs und der Diktatur wird von Experten und Angehörigenverbänden auf mindestens 100.000 bis 150.000 geschätzt. Einige behaupten, die Zahl könne viel höher liegen. Erst Mitte der 1990er Jahre hatten Bürgerinitiativen auf eigene Faust mit der Suche nach Diktaturopfern begonnen. Einige Gemeinden und Provinzen begannen dann vor wenigen Jahren, diese Aktivitäten finanziell zu unterstützen. Seit dem Jahr 2000 wurden etwa 800 Massengräber mit rund 10.000 Opfern entdeckt und geöffnet.
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