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Sorge vor russischem Einmarsch wächst

Russland betont, es ziehe Truppen von der Grenze zur Ukraine ab. Die USA halten das nicht für glaubwürdig. Sie befürchten einen russischen Einmarsch - und warnen vor einem konstruierten Kriegsvorwand.

US-Präsident Biden
US-Präsident Joe Biden geht von einem russischen Einmarsch in die Ukraine bereits in den nächsten Tagen aus. Foto: Patrick Semansky
US-Präsident Joe Biden geht von einem russischen Einmarsch in die Ukraine bereits in den nächsten Tagen aus.
Foto: Patrick Semansky

Die Sorge vor einem russischen Angriff auf die Ukraine wächst trotz aller Beteuerungen aus Moskau. US-Präsident Joe Biden warnte am Donnerstag in Washington vor einer Invasion »in den nächsten paar Tagen«, die Gefahr dafür sei »sehr hoch«.

Russland bekräftigte dagegen erneut seine Darstellung, es ziehe einen Teil seiner Truppen von der ukrainischen Grenze ab. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten kamen in Brüssel zu einem Sondertreffen zusammen, um Vorbereitungen für mögliche Sanktionen im Falle einer russischen Aggression voranzutreiben. Sorgen lösten auch neue Zwischenfälle im Konfliktgebiet in der Ostukraine aus.

Biden warnte einmal mehr vor einem Krieg. Alles deute darauf hin, dass Russland bereit dazu sei, die Ukraine anzugreifen. Es gebe auch Grund zur Annahme, dass Moskau in Operationen unter falscher Flagge verwickelt sei - so werden Machenschaften bezeichnet, um einen Vorwand für einen Angriff künstlich zu inszenieren. Ähnliche Sorgen äußerten Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Konstruierter Kriegsvorwand?

US-Außenminister Antony Blinken legte in einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat in New York dar, wie ein solcher Angriffsvorwand womöglich konstruiert werden könnte. »Dies könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird«, sagte er. Möglich seien etwa ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die »erfundene Entdeckung eines Massengrabes« und Vorwürfe eines Völkermordes oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

Gerade das angebliche Unterdrücken oder gewaltsame Vorgehen gegen Russen oder Menschen russischer Herkunft und Sprache in der Ostukraine könne als Kriegsvorwand dienen, hieß es aus den USA. Russland wiederum schickte Dokumente an den UN-Sicherheitsrat, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Darin ist unter anderem die Rede von einem »Völkermord an der russischsprachigen Bevölkerung des Donbass, Angriffe auf russische diplomatische Einrichtungen, Bombardierungen in der Region Rostow am Don, Morde und andere Gewaltakte gegen Journalisten.« Auch gab Moskau an, es habe nicht gekennzeichnete Massengräber mit Überresten von mindestens 295 Zivilisten gefunden.

Scholz: Bedrohliche Situation

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte nach dem EU-Sondertreffen, Russland habe an der Grenze zur Ukraine genügend militärische Kräfte für eine Invasion zusammengezogen. "Das ist bedrohlich, und das bleibt auch eine bedrohliche Situation, und da darf man nicht naiv sein, sagte Scholz. "Wenn es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt, dann wird das Konsequenzen haben, und wir sind vorbereitet, auch dann mit Sanktionen zu reagieren." Später verschärften Deutschland, Frankreich und mehrere europäische Verbündete den Ton nochmals. "Wir betonen, dass jede weitere militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine massive Folgen haben und beispiellose Kosten nach sich ziehen würde", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme nach einer UN-Sicherheitsratssitzung in New York.

Russland weist seit Wochen beharrlich Behauptungen zurück, wonach ein Angriff auf die Ukraine geplant sei. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hingegen warf Moskau vor, Truppen und Ausrüstung weiterhin aufzustocken und noch näher an die Grenze zur Ukraine zu rücken. Er sagte nach Beratungen der Verteidigungsminister der Nato-Staaten, die Russen würden zwar den Abzug einiger Truppen nach militärischen Übungen beteuern, »aber wir sehen das nicht - ganz im Gegenteil«. Der Pentagon-Chef erklärte: »Wir sehen, dass sie die mehr als 150 000 Soldaten, die sie bereits entlang der Grenze stationiert haben, aufstocken. Sogar in den vergangenen paar Tagen.«

Russland: Panzer zum Abtransport bereit

Russland bekräftigte hingegen erneut den angeblichen Teilabzug. Nach dem Abschluss von Manövern seien Panzer zum Abtransport bereit gemacht worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Dazu veröffentlichte es ein Foto, dass die Kampffahrzeuge zeigen soll. Zudem betonte Russland, seine Truppen nach Ende eines planmäßig bis Sonntag laufenden Militärmanövers aus dem Nachbarland Belarus abzuziehen.

Die prorussischen Separatisten im Konfliktgebiet in der Ostukraine und ukrainische Regierungstruppen warfen sich erneut gegenseitig Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand vor. Die Rebellen sprachen von Mörsergranatenbeschuss im Gebiet von Luhansk und beschossenen Stellungen auch im Donezker Gebiet. Laut der Regierung sollen wiederum die Separatisten im Laufe des Tages Dutzende Male gegen den Waffenstillstand verstoßen haben.

Der Kreml bezeichnete die Lage als »gefährlich«. Kiew habe seine »provokativen Handlungen« in den vergangenen Tagen verstärkt. Zudem forderte Russland die USA zum Abzug ihrer Streitkräfte aus Zentral-, Ost- und Südosteuropa und aus dem Baltikum auf. »Wir sind überzeugt, dass das nationale Potenzial in diesen Zonen völlig ausreichend ist«, hieß es in einem vom russischen Außenministerium am Donnerstag veröffentlichten Schreiben. Dabei handelt es sich um die Antwort auf die schriftliche Reaktion der USA auf die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien für Europa.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuletzt wiederholt ein Ende der Nato-Osterweiterung gefordert sowie vor einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis gewarnt, weil für diesen Fall ein Krieg drohe. Der Brief an die US-Seite beinhaltet auch das Angebot neuer Gespräche über Sicherheitsfragen in Europa. Erneut drohte Russland mit militärischen Gegenmaßnahmen, sollte eine Einigung über die Sicherheitsfragen in Europa nicht möglich sein.

© dpa-infocom, dpa:220217-99-175225/9