Erstmals seit über 40 Jahren treten die größten Parteien in Dänemark in eine gemeinsame Regierung ein. Die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und die liberal-konservative Partei Venstre unter Jakob Ellemann-Jensen wollen das skandinavische EU-Land zusammen mit der neuen Partei von Ex-Regierungschef Lars Løkke Rasmussen durch die herrschenden Krisenzeiten führen.
Uneinigkeiten und alten Rivalitäten zum Trotz treten die drei Parteien in ein breites wie seltenes Regierungsbündnis in der politischen Mitte ein. Es handle sich um eine »Arbeitsgemeinschaft«, sagte Frederiksen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in ihrem Amtswohnsitz Marienborg nördlich von Kopenhagen.
Die 45 Jahre alte Sozialdemokratin hatte am Vorabend verkündet, dass die neue Regierung aus Sozialdemokraten, Venstre und Løkkes Moderaten bestehen werde. Dänemark bekommt damit eine neue Regierung unter der alten Ministerpräsidentin, die seit 2019 mit einer ausschließlich aus Sozialdemokraten bestehenden Minderheitsregierung regiert hatte. Am Donnerstag soll das neue Kabinett vorgestellt werden. Es wird die erste Mehrheitsregierung in Dänemark seit fast drei Jahrzehnten sein.
Zweckgemeinschaft in Krisenzeiten
Ein solches Regierungsbündnis über die traditionellen Blockgrenzen hinweg ist in Dänemark sehr selten, angesichts anhaltender Krisen laut Frederiksen aber genau das, was Dänemark nun brauche. In der nun veröffentlichten Regierungsgrundlage wird betont, dass es Europa und Dänemark mit so vielen Herausforderungen zu tun hätten wie seit Jahrzehnten nicht mehr, darunter die Corona-Pandemie, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Energiekrise und eine rekordhohe Inflation. »Hinzu kommt die größte Herausforderung unserer Zeit: die Klima- und Biodiversitätskrise, deren Auswirkungen wir bereits sehen«, schrieben Frederiksen, Ellemann-Jensen und Løkke.
Die gemeinsamen Pläne sind umfassend, wie die über 60 Seiten lange Vereinbarung mit dem Titel »Ansvar for Danmark« (Verantwortung für Dänemark) zeigt. Dazu zählen neben zahlreichen Reformen auch das Erreichen von Klimaneutralität bis 2045 und die Abschaffung eines Feiertages, mit der höhere Militärausgaben geschultert werden sollen. Schon 2030 soll so das Nato-Ziel erreicht werden, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aufzuwenden.
Partner waren vor kurzem noch Rivalen
Auf dem Weg müssen die neuen Regierungspartner jedoch nicht nur Krisen, sondern auch Rivalitäten meistern. Ellemann-Jensen hatte Frederiksens Forderung nach einer breiten Regierung vor der Parlamentswahl am 1. November noch eine Absage erteilt und zuvor gar gesagt, ihr nicht zu trauen. Løkke wiederum hatte Venstre Anfang 2021 nach Jahrzehnten der Parteizugehörigkeit verlassen und später die Moderaten gegründet. Mit diesen rang er seiner Ex-Partei kräftig Stimmen ab, was einer der Hauptgründe ist, warum Venstre nur noch auf 13,3 Prozent und das schlechteste Wahlergebnis seit 1988 kam.
Die Sozialdemokraten und Venstre sind im heutigen Dänemark in etwa vergleichbar mit SPD und CDU in Deutschland. Mit einem deutlichen Unterschied: Große Koalitionen, wie sie die Bundesrepublik seit längerem kennt, sind in Dänemark äußerste Ausnahme. Eine solche Regierung gab es in der dänischen Nachkriegszeit nur einmal in den 1970er Jahren - damals hielt dieses Bündnis gerade einmal 14 Monate.
Nun geben Frederiksen und Ellemann-Jensen diesem Konstrukt eine neue Chance. Mit den Moderaten von Løkke, der seine Partei zwischen den klassischen politischen Blöcken positioniert hatte, haben sie sich auch die drittstärkste Parlamentskraft mit ins Boot geholt. Dass es sich um eine Zweckgemeinschaft handelt, verschwiegen die drei Spitzenpolitiker nicht. »Trotz unserer Uneinigkeiten haben wir beschlossen zusammenzugehen«, sagte Ellemann-Jensen.
Das neue Mitte-Bündnis dürfte nun immer wieder von links wie von rechts angegriffen werden. Während Parteien aus Ellemann-Jensens bisherigem blauen Block anmahnten, die neue Regierung dürfte nicht zu weit nach links driften, witterte das linksgerichtete Lager bereits einen Rechtsruck und negative Folgen unter anderem für das Klima.
Kritik von rechts und links
Dem versuchte Frederiksen mit neuen Klimazielen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Bereits bis 2045 und somit fünf Jahre früher als geplant wolle man klimaneutral werden, die CO2-Emissionen wolle man bis 2050 um 110 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Wie das gelingen soll - etwa durch das massenhafte Einfangen von CO2 aus der Luft oder durch Werkzeuge des Emissionshandels - das ging aus der Regierungsgrundlage nicht hervor. Frederiksen kündigte jedoch die Einführung von CO2-Abgaben für die Landwirtschaft und für Flugreisen an. »Wir sind jetzt ambitiöser, als wir es zuvor gewesen sind«, befand die 45-Jährige.
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