Die schwedische Staatsanwaltschaft stellt ihr Ermittlungsverfahren zur Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee ein. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass die schwedische Gerichtsbarkeit in der Angelegenheit keine Anwendung finde und es daher keinen Anlass mehr gebe, die Ermittlungen fortzuführen, gab der mit den Untersuchungen betraute Staatsanwalt Mats Ljungqvist bekannt.
Nach Angaben des schwedischen Nachrichtendienstes Säpo konnten die Ermittlungen zeigen, dass sich die Sabotage nicht gegen Schweden richtete und daher auch keine Gefährdung der schwedischen Sicherheit darstellte.
Die gesammelten Erkenntnisse der Schweden könnten nun den deutschen Ermittlungen zugutekommen. »Grundsätzlich sind wir weiter sehr interessiert an der Aufklärung dieses Verbrechens«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Nachfrage von Journalisten in Berlin.
Kritik aus Moskau
Russland kritisiet die Einstellung der Ermittlungen. »Die Entscheidung ist bezeichnend, und es ist bezeichnend, wie sie (die Ermittlungen) beendet wurden«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge. Russland sei bis heute kein Zugang zu den Ermittlungsergebnissen gewährt worden. Und nun werde der Fall einfach zu den Akten gelegt, kritisierte er. Über die Leitungen wurde bis kurz nach Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland gepumpt.
Laut Peskow muss nun die deutsche Regierung beweisen, wie wichtig ihr die Aufklärung des Falls sei. »Es leiden die Steuerzahler Deutschlands und deutsche Firmen - die Unternehmen verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit ohne dieses Gas«, sagte er.
Am 26. September 2022 waren mehrere Explosionen in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert und wenig später vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen von Nord Stream 1 und 2 entdeckt worden. Alle Lecks traten in internationalen Gewässern auf, jeweils zwei in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Schweden und Dänemark. In den beiden skandinavischen Ländern wurden daraufhin ebenso Ermittlungen aufgenommen wie in Deutschland.
»Untersuchung ist systematisch und gründlich gewesen«
Ljungqvist war knapp zwei Monate später zu dem Schluss gekommen, dass die Lecks auf schwere Sabotage zurückzuführen seien. »Nun durchgeführte Analysen zeigen Reste von Sprengstoff an mehreren der angetroffenen Fremdkörper«, hatte er im November 2022 verkündet. Bereits kurz nach Entdeckung der Lecks war vermutet worden, dass Sabotage dahintersteckt. Wer dafür verantwortlich ist, ist bis heute unklar.
»Die Untersuchung ist systematisch und gründlich gewesen«, bilanzierte Ljungqvist nun. Unter anderem seien zahlreiche Schiffsbewegungen analysiert worden. Auch direkt vor Ort auf der Ostsee habe man umfassend ermittelt. Die Behörden hätten mittlerweile ein gutes Bild von den Vorfällen erlangt. Dabei sei nichts gefunden worden, das darauf hindeute, dass Schweden oder schwedische Staatsbürger an dem Angriff beteiligt gewesen seien, der in internationalen Gewässern geschehen sei. »Vor dem Hintergrund der Situation, die wir jetzt haben, können wir feststellen, dass die schwedische Gerichtsbarkeit keine Anwendung findet«, erklärte Ljungqvist.
Dass der ungeklärte Nord-Stream-Fall somit gänzlich zu den Akten gelegt wird, bedeutet die schwedische Entscheidung nicht: »Die deutsche Ermittlung geht weiter«, machte Ljungqvist klar. Man habe bei der Untersuchung eine gute Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern gehabt, vor allem mit Dänemark und Deutschland, und dabei auch regelmäßig Informationen und Lageberichte teilen können. »Im Rahmen dieser rechtlichen Zusammenarbeit konnten wir Material übergeben, das bei den deutschen Ermittlungen als Beweismittel verwendet werden kann«, erklärte der Schwede.
»Weitergehende Auskünfte werden derzeit nicht erteilt«
Auch die Bundesanwaltschaft teilte mit, dass die Ermittlungen von deutscher Seite aus andauern. »Weitergehende Auskünfte werden derzeit nicht erteilt«, erklärte eine Sprecherin in Karlsruhe.
Dass eine Entscheidung von schwedischer Seite anstand, hatte Ljungqvist bereits Anfang der Woche in der Zeitung »Expressen« angekündigt. »Süddeutsche Zeitung«, NDR, WDR und »Zeit« hatten daraufhin bereits am Dienstag berichtet, dass das Verfahren offenbar eingestellt werde.
Die Täterfrage bleibt somit auch mehr als 16 Monate nach den Explosionen an den Gas-Pipelines weiter ungeklärt. In einem gemeinsamen Brief an den Weltsicherheitsrat hatten die UN-Botschaften Deutschlands, Dänemarks und Schwedens im Juli 2023 geschrieben, dass die Ermittler Sprengstoffspuren auf einer verdächtigen Segeljacht entdeckt hätten. Es bestehe der Verdacht, dass diese zum Transport des bei der Sabotage eingesetzten Sprengstoffs genutzt worden sei, hieß es in dem Schreiben. Man habe herausgefunden, dass das Boot im Namen einer Person angemietet worden sei, die Dokumente verwendet habe, mit denen die Identität des echten Mieters verschleiert werden sollte.
Die Taucher und die Sprengsätze
Nach Experteneinschätzungen sei es möglich, dass ausgebildete Taucher Sprengsätze an den Orten angebracht haben könnten, an denen die Gasleitungen beschädigt worden seien, hieß es in dem Brief weiter. Gleichzeitig wurde darin aber auch betont, dass es zu dem Zeitpunkt nicht möglich sei, die Identität der Täter und ihre Motive zuverlässig zu klären.
Nord Stream 1 und 2 verlaufen jeweils als Unterwasser-Doppelstrang über eine Strecke von rund 1200 Kilometern von Russland nach Deutschland. Nord Stream 1 lieferte seit 2011 einen großen Anteil des nach Europa importierten Gases. Allerdings hatte Moskau die Lieferungen im Zuge der Konfrontation mit dem Westen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schon vor der Zerstörung gedrosselt und dann ganz eingestellt. Die neuere Nord-Stream-2-Pipeline war bereits mit Gas gefüllt, aber mangels Zertifizierung noch nicht in Betrieb.
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