Logo
Aktuell Inland

Schwarz-Rot statt Schwarz-Grün in Hessen

Die Hessen-CDU will nach zehn Jahren Schwarz-Grün ihren Partner wechseln. Bald will das neue Duo in krisenreichen Zeiten einen Koalitionsvertrag aushandeln. Topthemen: Flüchtlinge und innere Sicherheit.

Mappe
Boris Rhein mit einer Mappe, die die Bezeichnung »Koa« trägt. Die CDU will mit der SPD in Hessen eine Regierungskoalition bilden. Foto: Andreas Arnold/DPA
Boris Rhein mit einer Mappe, die die Bezeichnung »Koa« trägt. Die CDU will mit der SPD in Hessen eine Regierungskoalition bilden.
Foto: Andreas Arnold/DPA

Hessen steht vor einem Regierungswechsel. Deutschlands erstes schwarz-grün regiertes Flächenland soll ein schwarz-rotes Kabinett bekommen. Fast fünf Wochen nach der Landtagswahl hat sich die klare Siegerin CDU entschieden, mit der SPD Koalitionsverhandlungen zu beginnen.

Am Abend beschlossen dann auch Parteirat und Landesvorstand der SPD in Kassel einstimmig die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU, wie ein SPD-Sprecher mitteilte. Die Verhandlungen sollen laut CDU am Dienstag beginnen.

Bislang regiert die CDU in Hessen seit rund einem Jahrzehnt mit den Grünen zusammen, meist recht geräuschlos. Die SPD drückt dagegen schon seit etwa einem Vierteljahrhundert die Oppositionsbank. Mit Faeser, hatte sie bei der Wahl im Oktober im Vergleich zur Abstimmung vor fünf Jahren deutlich an Zustimmung verloren.

Nun bekommt die Sozialdemokratie Auftrieb. Rhein sagte: »Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit der SPD, mit den Sozialdemokraten, zu bilden und zum ersten Mal seit 70 Jahren in einer christlich-sozialen Koalition zusammenarbeiten.« Man wolle mit der SPD ein Programm schreiben, das Vernunft und Fortschritt miteinander verbinde. »Ein Programm für Vernunft im Umgang mit der Migration. Besonnen, nie mit Schaum vorm Mund.«

»Aber am Ende hat es nicht gereicht«

Die Entscheidung für die SPD begründete er mit größeren Schnittmengen. Rhein verwies auf die aktuell vielen Krisen. "Heute stehen Themen im Fokus, wo wir eine Koalition aus der Mitte heraus bilden müssen." Die Grünen seien in den Sondierungen weit auf die CDU zugegangen. »Aber am Ende hat es nicht gereicht«, erklärte Rhein. Und gab dann ein ungewöhnliches Bekenntnis ab: Die Absage an die Grünen sei eine "emotional wirklich schwierige Entscheidung" gewesen.

Für die Grünen ist die Entscheidung bitter. »Nicht nachvollziehbar«, schrieb Parteichef Omid Nouripour, selbst mit Frankfurter Wahlkreis und stolzer Eintracht-Fan, auf X (vormals Twitter). Die Beteiligung an Landesregierungen in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen ist für die die Grünen stets ein Beleg ihrer politischen Verlässlichkeit und Koalitionsfähigkeit - auch mit der CDU. Das erklärt die Unruhe, die der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz - selbst in einer Regierung mit der CDU - erkennen ließ: »Wir Grüne müssen uns schon auch selbstkritisch fragen, warum uns einstige Koalitionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen«, schrieb er auf X.

GroKo nun wieder eine Option in Berlin?

Könnte die hessische Annäherung von CDU und SPD damit auch auf eine veränderte Stimmung in der Bundespolitik hindeuten? In Berlin galt eine Neuauflage der GroKo rund um die vergangene Bundestagswahl quasi als größtmögliches Übel. Doch inzwischen sind die Karten neu gemischt - und die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP mussten erkennen, wie schwierig das Regieren in einer Dreierkoalition so unterschiedlicher Partner ist. Faeser beschwichtigte allerdings direkt, man dürfte die Entwicklung in Hessen nicht überinterpretieren. »Es ist ein Angebot, Koalitionsverhandlungen zu führen in einem Bundesland. Und das sagt auch alles darüber aus, was ich an Wertigkeit für andere Dinge dazu zu sagen habe.«

Die Entscheidung der hessischen CDU ist nach Worten des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz keine Vorentscheidung für Koalitionen auf Bundesebene. »Die Entscheidung der hessischen CDU, jetzt die Koalitionsverhandlungen mit der SPD und nicht mit den Grünen zu führen, ist zunächst einmal eine Entscheidung der hessischen CDU - aufgrund der hessischen Herausforderungen, die für eine künftige Landesregierung dort bestehen«, sagte Merz im »Interview der Woche« des Deutschlandfunks, das am Sonntag ausgestrahlt wird.

Er sei sicher, dass Hessens CDU-Landesvorsitzender Rhein eine kluge Entscheidung getroffen habe. »Ich will allerdings auch sagen, für die Bundespartei ist das keine Vorentscheidung in die ein oder andere Richtung.«

Faeser: »Ich bleibe Bundesinnenministerin«

Die hessische CDU will am nächsten Dienstag die Koalitionsgespräche beginnen. Der Koalitionsvertrag soll »noch vor Weihnachten« ausgehandelt sein. Am 18. Januar 2024 konstituiert sich der neue Landtag in Wiesbaden. Faeser will nicht Teil der neuen Landesregierung werden. »Ich bleibe Bundesinnenministerin«, kündigte sie in Berlin an. Sie habe in der Bundesregierung eine wichtige Aufgabe.

Als Ergebnisse ihrer Sondierungen mit der SPD nannte die CDU das Bekenntnis zur Begrenzung der irregulären Migration mit einer Rückführungsoffensive und der Einrichtung von Rückführungszentren, ein Sicherheitspaket mit mehr Polizisten und mehr Videoüberwachung sowie einer Initiative zur Speicherung von IP-Adressen, um Kinderpornografie im Netz zu bekämpfen. Beide Parteien wollen auch mit einem »Hessengeld« den Kauf eines ersten Eigenheims vor allem für Familien fördern sowie den Klimaschutz verbessern, etwa mit einem 100.000-Dächer-Programm bei der Photovoltaik. Außerdem soll ein eigenes Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau, Jagd und Heimat entstehen.

Die CDU konnte sich als deutliche Wahlsiegerin aussuchen, ob sie erneut mit den Grünen oder mit der SPD ein Regierungsbündnis schmiedet.

Grüne, Sozialdemokraten und Liberale hatten am 8. Oktober in Hessen allesamt Stimmen verloren im Vergleich zur Landtagswahl 2018. Mit der deutlich erstarkten AfD schließt die CDU eine Zusammenarbeit aus. Die Rechtspopulisten sind künftig die größte Opposition im Wiesbadener Landtag - der Umgang mit ihr dürfte eine Herausforderung für ein künftiges schwarz-rotes Bündnis werden.

© dpa-infocom, dpa:231110-99-897597/14