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Schuldspruch im Brüsseler Terrorprozess

Dutzende Tote, Hunderte Verletzte - die islamistischen Terroranschläge 2016 haben Brüssel und ganz Belgien tief getroffen. Das ist auch beim Schuldspruch nach über sieben Jahren noch zu spüren.

Brüsseler Terrorprozess
Sicherheitsbeamte im Gerichtssaal. Im Prozess um die islamistischen Anschläge 2016 in Brüssel haben die Geschworenen mehrere der zehn Angeklagten des terroristischen Mordes schuldig gesprochen. Foto: Olivier Matthys/DPA
Sicherheitsbeamte im Gerichtssaal. Im Prozess um die islamistischen Anschläge 2016 in Brüssel haben die Geschworenen mehrere der zehn Angeklagten des terroristischen Mordes schuldig gesprochen.
Foto: Olivier Matthys/DPA

Die Anspannung aller ist förmlich zu spüren. Der Gerichtssaal in Brüssel ist am Dienstagabend prall gefüllt - Zuschauer, Journalisten, Opfer und Angehörige der islamistischen Anschläge von 2016 in der belgischen Hauptstadt warten gebannt auf die Entscheidung der Geschworenen. Nach stundenlangem Warten geht es dann ganz schnell. In rasendem Tempo liest die Präsidentin des Gerichts die lang erwarteten Schuldsprüche vor.

Sechs von zehn angeklagten Männern wurden demnach des terroristischen Mordes verurteilt. Zwei angeklagte Brüder wurden von allen Vorwürfen freigesprochen. In der Verhandlung, die sich bis in die Nacht zum Mittwoch zog, ging es zunächst nur um den Schuldspruch. Wie genau die Strafen aussehen, wird ab September entschieden.

32 Menschen starben, 340 wurden verletzt

Bei den Terroranschlägen am Flughafen der belgischen Hauptstadt und in einer U-Bahn Station am 22. März 2016 starben 32 Menschen, 340 wurden verletzt. Auch für drei weitere Menschen, die nach den Anschlägen durch Krankheit oder Suizid starben, werden nach Entscheidung der Geschworenen die Angeklagten zur Rechenschaft gezogen. Die offizielle Zahl der Todesopfer erhöhte sich laut Belga damit auf 35.

Zusammen mit vermummten Sicherheitskräften saßen die Angeklagten gestern in einem Glaskasten hinter ihren Verteidigern. Als es endlich los ging, wurde es mucksmäuschenstill im eher trostlosen Saal. Sechs Angeklagte sind auch des versuchten terroristischen Mordes an fast 700 Menschen schuldig. Diese sechs und zwei weitere Angeklagte wurden der Beteiligung an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen, einer davon als Anführer. Ein Angeklagter fehlte jedoch vor Gericht: Es wird davon ausgegangen, dass er mittlerweile wohl in Syrien gestorben ist.

Für ihre 18-tägigen Beratungen war die Jury an einem unbekannten Ort untergebracht und von der Außenwelt völlig abgeschottet. Besonders zufrieden mit ihrem Urteil war Anwalt Michel Degrève, der einen der freigesprochenen Brüder vertrat. Man sei »sehr zufrieden« mit dem Ergebnis, sagte er. »Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.«

Zusammenhang mit den Anschlägen in Paris

Der prominenteste Angeklagte war wohl Salah Abdeslam, der als Drahtzieher bei den Pariser Anschlägen gilt: Vor den Anschlägen in Brüssel hatten Extremisten bei einer Anschlagsserie am 13. November 2015 in der französischen Hauptstadt 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt. Die Anschläge in Paris und Brüssel wurden wohl von derselben Terrorzelle eingefädelt, daher standen von den in Paris Verurteilten auch sechs in Brüssel vor Gericht.

Abdeslam wurde in Brüssel wegen Beteiligung an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung, terroristischen Mordes und versuchten terroristischen Mordes schuldig gesprochen - und das, obwohl er sich am Tag des Anschlags im Gefängnis befand. Er wurde bereits im Prozess um die Anschläge in der französischen Hauptstadt zu lebenslanger Haft verurteilt und in einem separaten Verfahren zu 20 Jahren Gefängnis, weil er kurz vor seiner Festnahme in Brüssel 2016 auf Polizisten geschossen hatte.

Schuldig in allen drei Punkten wurde auch der Angeklagte Mohamed Abrini gesprochen. Er sollte am Flughafen Zaventem eigentlich eine weitere Bombe zünden, flüchtete aber und wurde durch Überwachungsbilder als »Mann mit Hut« bekannt. Auch er wurde bereits in Paris zu lebenslanger Haft verurteilt.

Über das Strafmaß wird im September entschieden

Das öffentliche Interesse am Prozess war riesig: Mit mehr als 900 Nebenklägerinnen und -klägern wurde er deshalb in den umgebauten Räumlichkeiten des früheren Nato-Hauptquartiers im Nordosten der Stadt geführt.

Begonnen hatte der Mammutprozess holprig und war über Wochen von juristischen Kleinkriegen geprägt. Wegen eines Streits über die Sicherheitsvorkehrungen musste etwa der ursprünglich für Mitte Oktober geplante Beginn um knapp zwei Monate verschoben werden. Zwischendurch hatten die Angeklagten auch nicht am Prozess teilgenommen - aus Protest gegen ihre Transportbedingungen und die regelmäßigen Durchsuchungen, bei denen sie sich ausziehen mussten.

Opfer und Opferorganisationen hatten in den vergangenen Jahren immer wieder unzureichende und komplizierte Unterstützung des Staats beklagt. Die Anwältin Maryse Alié, die für die Organisation Life4Brussels (Leben für Brüssel) die Opfer vertritt, sagte in der Nacht der Deutschen Presse-Agentur, es seien zwar teilweise Entscheidungen gefallen, die ein Berufsrichter anders getroffen hätte.

»Aber insgesamt begrüßen wir dieses Urteil, die Arbeit der Geschworenen, ihre Konzentration, ihre Entschlossenheit und ihre Hingabe. Von Anfang an war es eine gute Übung der Gerechtigkeit.« Um das Strafmaß für die Verurteilten wird es ab September gehen. Dann werden die Geschworenen sich erneut beraten.

© dpa-infocom, dpa:230726-99-533162/5