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Scholz warnt vor Schein-Frieden in der Ukraine

19 Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine is kein Frieden in Sicht. Die Bemühungen darum werden aber verstärkt. Kanzler Scholz unterstützt das in seiner Rede vor den Vereinten Nationen.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Foto: Michael Kappeler/DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in seiner Rede vor den Vereinten Nationen hinter die internationalen Bemühungen um Frieden in der Ukraine gestellt.

»Zugleich müssen wir uns vor Schein-Lösungen hüten, die «Frieden» lediglich im Namen tragen«, mahnte er am Dienstagabend in der Generaldebatte der UN-Vollversammlung. »Denn: Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat. Das muss nun endlich auch Moskau verstehen.«

Den russischen Präsidenten Wladimir Putin forderte Scholz erneut auf, den Krieg zu beenden. Er warb in seiner Rede auch für eine Reform des seit langem blockierten UN-Sicherheitsrats, für mehr Einfluss der Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in der Welt und generell für eine stärkere internationale Zusammenarbeit.

Seit der russischen Invasion in der Ukraine sind 19 Monate vergangen, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Es gibt aber Friedensbemühungen vor allem der Länder, die sich als neutral verstehen und Russland nicht mit Sanktionen belegen. Dazu gehören Brasilien, Indien und Saudi-Arabien. Im August trafen sich in der saudischen Hafenstadt Dschidda Vertreter aus mehr als 40 Ländern, um sich über Wege zum Frieden auszutauschen - darunter die USA, EU-Staaten und mit China erstmals auch der wichtigste Verbündete Russlands.

Scholz hat immer wieder vor Diktat-Frieden gewarnt

Scholz sagte zu diesen Bemühungen: »Gerade weil dieser Krieg unerträgliche Folgen rund um den Globus hat, ist es gut und richtig, dass sich die Welt auch an der Suche nach Frieden beteiligt.« Der Kanzler hat aber von Anfang an vor einem Diktat-Frieden gegen den Willen der Ukraine gewarnt. Kiew fordert den kompletten Abzug der russischen Truppen aus besetztem Territorium inklusive der ukrainischen Halbinsel Krim, die Russland 2014 annektiert hat.

»Vergessen wir nicht: Russland ist für diesen Krieg verantwortlich. Und es ist Russlands Präsident, der ihn mit einem einzigen Befehl jederzeit beenden kann«, betonte Scholz. »Doch damit er das tut, muss er verstehen, dass wir – die Staaten der Vereinten Nationen – es ernst meinen mit unseren Prinzipien.« In einer multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts sei kein Platz mehr für Revisionismus und Imperialismus.

Scholz' Ehefrau Britta Ernst als Zuschauerin dabei

Scholz hatte bereits im vergangenen Jahr in der UN-Generalversammlung gesprochen - als erster Kanzler seit 15 Jahren. Seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) war in ihrer 16-jährigen Amtszeit nur einmal - und zwar im Jahr 2007 - in einer Generaldebatte aufgetreten.

Zu später Stunde am Dienstagabend waren die Reihen in der Vollversammlung während des Scholz-Auftritts nur spärlich besetzt. Auf den Plätzen der deutschen Delegation verfolgte aber Außenministerin Annalena Baerbock die Rede. Scholz' Ehefrau Britta Ernst nahm als Zuschauerin ebenfalls an der Sitzung teil.

Für »ergebnisoffene Verhandlungen« über UN-Reform

Scholz machte sich wie im vergangenen Jahr für eine Reform des UN-Sicherheitsrats stark, setzte sich aber diesmal nicht offensiv für einen ständigen Sitz Deutschlands ein. Die UN bildeten die Realität einer multipolaren Welt nicht ausreichend ab, sagte er. »Nirgendwo ist das so augenfällig wie bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrats.«

Klar sei, dass Afrika, Asien und Lateinamerika mehr Gewicht in dem Gremium gebühre. »Unter dieser Prämisse lässt sich über einen Text mit verschiedenen Optionen verhandeln. Solche ergebnisoffenen Verhandlungen sollte kein Land mit Maximalforderungen blockieren. Auch wir tun das nicht«, betonte der Kanzler.

Der Sicherheitsrat ist das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen und für Konfliktlösung und Friedenssicherung zuständig. Ihm gehören 15 der 193 UN-Mitgliedstaaten an. Fünf Atommächte sind ständig dabei und haben Vetorecht bei allen Entscheidungen: die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich. Einige der anderen 188 Mitgliedstaaten wechseln sich auf den verbleibenden zehn Sitzen alle zwei Jahre ab.

Sicherheitsrat schon länger handlungsunfähig

Deutschland bewirbt sich alle acht Jahre für einen Sitz, das nächste Mal für 2027/28. Die Bundesregierung erhebt außerdem den Anspruch, bei einer Erweiterung der ständigen Sitze als größte Wirtschaftsmacht Europas berücksichtigt zu werden.

Seit Jahren gilt das Gremium wegen gegenseitiger Blockaden der USA, Chinas und Russlands in zentralen Fragen als weitgehend handlungsunfähig. Über eine grundlegende Reform des Sicherheitsrats wird seit Jahrzehnten diskutiert, ohne dass es Fortschritte gibt.

Er freue sich nun, dass immer mehr Partner – darunter drei der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – erklärt hätten, in der Reformfrage vorankommen zu wollen, sagte Scholz. Damit meint er die USA, Großbritannien und Frankreich.

Scholz wirbt für Ausbau internationaler Zusammenarbeit

Scholz betonte in seiner Rede erneut, wie wichtig ihm der Ausbau internationaler Zusammenarbeit gerade auch mit den Ländern des sogenannten Globalen Südens sei. »Unsere Freiheit, unsere Demokratie und unser Wohlstand sind zutiefst mit dem Wohlergehen Europas und der Welt verknüpft«, betonte er. Die Stärkung bestehender Allianzen sei genauso wichtig wie die Suche nach neuen Partnern. »Denn nur so lassen sich auch die Risiken allzu einseitiger Abhängigkeiten abbauen.«

Warnung vor Risiken Künstlicher Intelligenz

Kurz ging der Kanzler auf die zunehmende Bedeutung Künstlicher Intelligenz (KI) ein. Er verwies auf die großen Chancen, warnte aber auch vor den Risiken. KI könne »die Spaltung der Welt zementieren, wenn nur einige davon profitieren, wenn Algorithmen nur einen Teil der Realität berücksichtigen, wenn der Zugang auf die reicheren Länder beschränkt ist.« Bei der Suche nach internationalen Regeln für KI in einem globalen Abkommen (Global Digital Compact) sollte es auch um den Einsatz Künstlicher Intelligenz als Waffe gehen, forderte Scholz.

© dpa-infocom, dpa:230920-99-258356/2