Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Aussöhnungspolitik seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) mit Russland grundsätzlich verteidigt.
»Der Versuch einer Aussöhnung kann nie falsch sein und der Versuch, friedlich miteinander zurechtzukommen, auch nicht«, sagte Scholz in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. »Da sehe ich mich eng an der Seite meiner Vorgängerin.«
Ganz anders bewertete der SPD-Politiker die Energiepolitik gegenüber Russland in den letzten Jahren. »Ein Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik war es aber, dass wir unsere Energieversorgung zu sehr auf Russland konzentriert haben, ohne die nötige Infrastruktur zu bauen, dass wir im Falle eines Falles schnell umsteuern können«, sagte er. Er selbst habe sich als Hamburger Bürgermeister allerdings dafür eingesetzt, an der norddeutschen Küste Flüssiggas-Terminals zu bauen, um diese Lücke zu füllen. »Nun müssen wir das rasch nachholen.«
Scholz: Mit Merkel »immer gut zusammengearbeitet«
Auf die Frage, ob das heiße, dass er keine Fehler in der Russland-Politik gemacht habe, Merkel aber schon, sagte Scholz: »Das ist eine unzulässige Verkürzung meiner Antwort. Mit der früheren Bundeskanzlerin habe ich immer gut zusammengearbeitet, und ich sehe keinen Anlass, das im Nachhinein infrage zu stellen.«
Scholz war von 2018 bis 2021 fast vier Jahre lang Merkels Vizekanzler und Finanzminister und gehörte ihrem Kabinett auch zwischen 2007 und 2009 schon als Arbeitsminister an. Die Gas-Pipeline Nord Stream 2 hatte er auch nach seiner Vereidigung als Kanzler noch als »privatwirtschaftliches Vorhaben« verteidigt und die behördliche Entscheidung über die Inbetriebnahme als »ganz unpolitisch« bezeichnet. Die Reißleine zog er erst zwei Tage vor Beginn des Ukraine-Kriegs.
Merkel: Habe an »Verbindung durch Handel« geglaubt
Merkel hatte vor zwei Wochen in einem ersten Interview nach der Amtsübergabe an Scholz ihre viel kritisierte Russland-Politik verteidigt und eine Entschuldigung abgelehnt. In einem am Samstag veröffentlichten Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland bekräftigte sie diese Haltung - auch was die Energiepolitik angeht. »Ich habe nicht an Wandel durch Handel geglaubt, aber an Verbindung durch Handel, und zwar mit der zweitgrößten Atommacht der Welt«, sagte sie.
Es sei aber keine einfache Entscheidung gewesen. »Die damalige These lautete: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist, wird (Russlands Präsident Wladimir) Putin durch die Ukraine kein Gas mehr liefern oder sie sogar angreifen.« Der Westen habe aber dafür gesorgt, dass Gas trotzdem durch die Ukraine geleitet worden sei. »Die deutsche Wirtschaft hatte sich damals für den leitungsgebundenen Gastransport aus Russland entschieden, weil das ökonomisch billiger war als Flüssiggas aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten und später auch aus den USA«, erklärte Merkel.
Scholz verteidigt Merkels Nato-Entscheidung: »Das wusste jeder«
Bereits mehrfach hat Merkel ihre Entscheidung gerechtfertigt, sich 2008 auf dem Gipfel in Bukarest gegen einen Nato-Beitrittsprozess für die Ukraine gestellt zu haben. Auch in diesem Punkt ist Scholz mit ihr einig. »Die Kriterien für einen Beitritt zur Nato müssen von jedem Staat, der dem Bündnis beitreten möchte, erfüllt werden. Ein Beitritt der Ukraine zur Nato stand nicht an«, sagte er der dpa. »Das wusste jeder, im Übrigen auch der russische Präsident. Umso absurder ist es, dass Putin seinen Überfall auf die Ukraine unter anderem damit begründet hat, irgendwann könnte die Ukraine irgendwie plötzlich doch dort landen.« Dabei sei klar gewesen, dass das auf absehbare Zeit überhaupt kein Thema sein würde.
Steinmeier räumte persönliche Fehler ein: »Da habe ich mich geirrt«
Persönliche Fehler in der Russland-Politik räumen also weder Merkel noch Scholz ein - anders als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der hatte sich Anfang April sehr selbstkritisch zu seiner Rolle in der Energiepolitik als Kanzleramtschef von Gerhard Schröder und als Außenminister unter Merkel geäußert. »Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler. Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben.«
Auch in Putin habe er sich getäuscht, sagte Steinmeier. »Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde. Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt.« Wen er mit den anderen meint, sagte Steinmeier nicht.
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