Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Vorstoß seines Parteivorsitzenden Lars Klingbeil für eine Abschaffung des Ehegattensplittings relativiert.
Das Ehegattensplitting sei Gesetzeslage in Deutschland, aber es gebe »natürlich immer mal wieder Diskussionen, ob es nicht unverhältnismäßig ist, gerade bei denjenigen, die ein paar Hunderttausend Euro im Jahr verdienen«, sagte Scholz bei einem Bürgerdialog im bayerischen Füssen auf eine Frage nach der vorgeschlagenen Abschaffung. »Aber für die Normalverdiener hat niemand vor, eine Verschlechterung vorzuschlagen, was jetzt die steuerliche Belastung betrifft. Das glaube ich, ist zur Einordnung der Diskussion immer ganz wichtig.«
Steinbrück kritisiert Vorstoß
Der SPD-Politiker und ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kritisiert zuvor den Vorstoß seines Parteichefs Lars Klingbeil zur Abschaffung des Ehegattensplittings. »Da lässt man nicht so einfach mal so einen Heißluftballon starten, ohne die damit verbundenen Fragen sehr genau abzuwägen«, sagte Steinbrück am Mittwoch in der ARD-Sendung »Maischberger«.
Das verbinde sich mit »sehr grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen«. »Selbst wenn sich konzentriert werden soll nur auf die Belastung der neuen Ehen. Das wiederum berührt einen Gleichheitsgrundsatz und würde auch neue Ehen ja mit erheblichen Mehr-Steuerausgaben belasten.«
Klingbeil spricht von »antiquierten Steuermodell«
Klingbeil hatte in einem Interview statt der geplanten Einsparungen beim Elterngeld die Abschaffung des Ehegattensplittings für neu geschlossene Ehen vorgeschlagen. Aus seiner Sicht wäre es gut, diesem »antiquierten Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt«, ein Ende zu setzen. Der Koalitionspartner FDP lehnte den Vorschlag strikt ab.
Beim Ehegattensplitting wird das gemeinsame Einkommen eines Paares halbiert, die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Das nützt vor allem Paaren, bei denen einer viel und der andere wenig verdient. Das Ehegattensplitting wurde 1958 erst auf Veranlassung des Bundesverfassungsgerichts ins Einkommensteuergesetz geschrieben. Von der OECD und der EU-Kommission wird Deutschland häufig für die Regelung kritisiert - mit dem Argument, dass sie Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalte.
»Wirtschaftsweise«: Splitting verringert Anreize
Der »Wirtschaftsweise« Achim Truger sieht das ähnlich. Er sagte der »Rheinischen Post«, das Splitting verringere »durch eine hohe steuerliche Grenzbelastung für Zweitverdienende - zumeist Frauen - die Anreize zur Aufnahme von Erwerbsarbeit und zur Ausweitung der Stundenanzahl«. »Schätzungen kommen rechnerisch auf 200.000 Vollzeitstellen, teilweise noch deutlich mehr, um die die Erwerbstätigkeit durch das Splitting gemindert wird«, führte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus.
Laut Truger benachteiligt das Splitting Frauen, die in Mini- oder Teilzeitjobs gedrängt würden. Eine Reform sei daher aus seiner Sicht überfällig. Abschaffen lasse sich das Splitting aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nicht. Ein Reformmodell sei das Realsplitting, bei dem ein Freibetrag zwischen den Ehepartnern steuermindernd übertragen werden könne.
»Realistische Reformvarianten könnten mittelfristig ein Mehraufkommen zwischen 5 und 15 Milliarden Euro pro Jahr betragen, die größtenteils von den oberen 20 Prozent in der Einkommensverteilung getragen würden«, sagte Truger weiter. Dieses Geld könnte für Steuerentlastungen oder die Förderung von Familien mit Kindern, etwa über die Kindergrundsicherung, oder für den Ausbau der Kinderbetreuung verwendet werden.
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