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Scholz: Keine Verhandlungen »mit der Waffe an der Schläfe«

In seiner Zeitenwende-Rede stellte Kanzler Scholz im Februar 2022 die deutsche Sicherheitspolitik auf den Kopf. Ein Jahr später sieht er die Bundeswehr und die Nato gestärkt, die Ukraine ebenfalls.

Bundestag
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im Bundestag. Foto: Kay Nietfeld
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im Bundestag.
Foto: Kay Nietfeld

Gut ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sieht Bundeskanzler Olaf Scholz noch keine Grundlage für Friedensverhandlungen. »Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln - außer über die eigene Unterwerfung«, machte er heute in einer Regierungserklärung im Bundestag klar.

Mit deutlichen Worten erteilte der SPD-Politiker all jenen eine Absage, die zuletzt Zugeständnisse von der Ukraine verlangten. »Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn. Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern das Ende der Ukraine«, betonte Scholz.

Unterstützung bekam der Kanzler dabei nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern mit fast identischen Worten auch von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU): »Wenn Russland heute die Waffen schweigen lässt, dann ist morgen der Krieg zu Ende«, sagte dieser. »Wenn die Ukraine heute die Waffen niederlegt, dann ist morgen das ukrainische Volk und die Ukraine als Staat am Ende.«

»Nie wieder Angriffskrieg« statt »Nie wieder Krieg«

Scholz forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut eindringlich auf, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen, um den Krieg zu beenden. Der Ukraine sagte er zu, bei der militärischen Unterstützung nicht nachzulassen. Frieden schaffen bedeute eben auch, sich Aggression und Unrecht klar entgegenzustellen. Vor diesem Hintergrund kritisierten Scholz und die Fraktionschefs von Union, Grünen und FDP einmütig die Demonstration gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen, zu der die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer aufgerufen hatten.

»Man schafft auch keinen Frieden, wenn man hier in Berlin «Nie wieder Krieg» ruft - und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen«, sagte Scholz. Heute bedeute »Nie wieder«, dass der Angriffskrieg nicht als Mittel der Politik zurückkehren dürfe. »Unser «Nie wieder» bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf.« Merz und FDP-Fraktionschef Christian Dürr warfen den Organisatoren der Demo auf, bewusst Täter und Opfer zu verwechseln. Sie handelten zynisch, menschenverachtend, niederträchtig und beschämend. Dürr forderte die Linke auf, sich von Wagenknecht loszusagen, wenn das nicht ihre Position sei.

Wagenknecht selbst war während der Debatte nicht im Bundestag. Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch verteidigte seine Partei. »Wer den Krieg beenden will, der ist kein Friedensschwurbler, der ist auch kein Putinversteher. Wer Friedensverhandlungen fordert, will das Sterben, der will das Leid in der Ukraine beenden«, sagte er. Es müsse Schluss mit einer Diffamierung derjenigen sein, die Kritik am Kurs der Bundesregierung äußerten. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla dagegen warf Merz und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann eine gefährliche Kriegsrhetorik vor.

Diesmal kaum Applaus aus der Union

Scholz stellte seine Regierungserklärung unter den Titel »Ein Jahr Zeitenwende« und nahm damit Bezug auf seine Rede am 27. Februar 2022 in einer Sondersitzung des Bundestags drei Tage nach Kriegsbeginn. »Wir erleben eine Zeitenwende. Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor«, hatte Scholz damals gesagt und einen Paradigmenwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik angekündigt. Dazu zählten ein 100-Milliarden-Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine für den Abwehrkampf gegen Russland - ein Tabubruch.

Vor einem Jahr bekam Scholz noch viel Applaus aus den Reihen von CDU und CSU für seine Ankündigungen. Diesmal blieb der weitgehend aus. Die Union wirft ihm vor, dass die Modernisierung der Streitkräfte nur schleppend vorankomme. Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen ist laut Finanzministerium 2022 noch kein Cent ausgegeben worden. Das Verteidigungsministerium weist allerdings darauf hin, dass rund 30 Milliarden Euro verplant seien.

Merz fragte Scholz in seiner Erwiderung auf Scholz' Regierungserklärung: »Was ist eigentlich im zweiten Halbjahr 2022 geschehen, dass diese Zusagen, die Sie gegeben haben, auch umgesetzt werden?« Eine Erklärung, warum die Aufrüstung der Bundeswehr so mühsam vorankommt, blieb Scholz schuldig. Stattdessen sagte er: »Wir machen Schluss mit der Vernachlässigung der Streitkräfte« - und erntete dafür lautes Lachen vor allem aus den Reihen der AfD.

Scholz bekräftigt Zwei-Prozent-Ziel

Der Kanzler bekräftigte, dass Deutschland das Nato-Ziel dauerhaft erreichen wolle, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung zu investieren. »Diese Zusage, die ich hier am 27. Februar vergangenen Jahres gegeben habe, gilt«, sagte er. Merz dagegen warf ihm vor, sich diesem Ziel nicht zu nähern, sondern sich noch davon zu entfernen.

Tatsächlich lag der Anteil 2022 nach offizieller Nato-Statistik erst bei 1,44 Prozent. Für das laufende Jahr werden nach internen Berechnungen der Bundesregierung 1,6 Prozent erwartet. Um die zwei Prozent zu erreichen, müsste der Wehretat um 15 Milliarden Euro auf 65 Milliarden Euro aufgestockt werden.

Lob für Baerbock - Klare Botschaft an China

Den Berichten über Differenzen mit seiner Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) trat Scholz entgegen, indem er sie zwei Mal lobend erwähnte. Das einzige andere Kabinettsmitglied, das der Kanzler namentlich nannte, war sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).

Eine klare Botschaft sendete Scholz an China. »Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen! Und: Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!«, forderte er. Scholz lobte zwar, dass sich Chinas Präsident Xi Jinping »unmissverständlich gegen jede Drohung mit Atomwaffen oder gar deren Einsatz im Krieg Russlands gegen die Ukraine« gestellt habe. Er nannte es aber »enttäuschend«, dass Peking beim Treffen der G20-Finanzminister in Indien nicht mehr bereit gewesen sei, den russischen Krieg klar zu verurteilen - was noch beim G20-Gipfel im vergangenen Jahr auf Bali Konsens gewesen sei.

Energie: Scholz sieht »gutes Polster« für nächsten Winter

Mit der Zeitenwende-Rede leitete Scholz vor einem Jahr auch die Abkopplung von russischen Energielieferung ein - unter anderem mit der Ankündigung, lange umstrittene Flüssiggas-Terminals an den Küsten zu bauen. Inzwischen bezieht Deutschland kein Gas mehr aus Russland. Man sei trotzdem gut durch den Winter gekommen, sagte Scholz.

Es sei zuvor die Rede von kalten Wohnungen gewesen, von der Zwangsabschaltung ganzer Industriezweige, von Produktionsstillstand, einem »heißen Herbst« und »Wutwinter«, so der Kanzler: »Nichts davon ist eingetreten.« Die Gasspeicher seien derzeit noch zu mehr als 70 Prozent gefüllt. »Das ist ein gutes Polster, um sicher auch durch den nächsten Winter zu kommen«, sagte der Kanzler.

© dpa-infocom, dpa:230302-99-795044/10