Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf der Weltklimakonferenz für seine Idee eines globalen Klimaclubs von Ländern mit ehrgeizigen Zielen bei der Bekämpfung der Erderwärmung geworben. Er lud dazu am Dienstag im ägyptischen Scharm el Scheich ausdrücklich auch China ein, das rein mengenmäßig weltweit am meisten klimaschädliche Gase ausstößt. »Die Zeit wird knapp. Die nächste industrielle Revolution muss nun starten«, forderte Scholz.
Massive Kritik an dem zweitägigen Auftritt des Kanzlers bei der Weltklimakonferenz kam von Klimaschützern. Sie warfen ihm vor, weiter zu stark auf klimaschädliche fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle zu setzen. »Die Taten und die Worte von Olaf Scholz stehen sich praktisch gegenüber«, sagte die Aktivistin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, Luisa Neubauer.
Klimaclub der Willigen - für alle Länder offen
Den Klimaclub will der Kanzler noch in diesem Jahr während seiner Präsidentschaft in der G7 wirtschaftsstarker Demokratien formal gründen. Es geht dabei vor allem um den klimafreundlichen Umbau der Industrie. Bei Zweigen wie der Zement- und Stahlproduktion sei das dringend nötog, sagte Scholz. Es müssten gemeinsame Regeln und Standards verabredet werden, damit es angesichts der hohen Investitionen nicht zu Verzerrungen des Wettbewerbs komme.
Der Club soll grundsätzlich offen für alle Länder sein, unabhängig von Größe, wirtschaftlichem Entwicklungsgrad und politischem System. »Große Länder wie Indien und China sind da ganz bedeutsam. Sie werden ja einen großen Anteil der Weltwirtschaft auch in Zukunft ausmachen, sogar einen wachsenden«, sagte Scholz.
Neben dem Umbau der Industrie soll der Club einer Verlagerung von Produktion in Länder mit laxeren Klima-Auflagen entgegenwirken. Mit Energiepartnerschaften wollen die wirtschaftsstarken G7-Länder ärmeren Staaten beim Wandel hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft helfen.
Scholz war bereits am Montag für zwei Tage in den ägyptischen Badeort Scharm el Scheich am Roten Meer gereist, um an der zweiwöchigen Weltklimakonferenz teilzunehmen, für die sich 45.000 Teilnehmer registriert haben. Neben dem Klimaclub hat er eine Reihe weiterer Ideen und Initiativen mitgebracht.
Schutzschirm gegen Klimakatastrophe
Ein Schutzschirm zur Abfederung von Klimarisiken soll in der zweiten Woche der Klimakonferenz offiziell gegründet werden. Das Büro dafür soll in Frankfurt am Main entstehen, Deutschland gibt 170 Millionen Euro als Anschubfinanzierung. Welche Länder sich sonst noch mit wie viel Geld beteiligen, ist unklar. Die Mittel sollen besonders stark von Katastrophen wie Wirbelstürmen, Dürren oder Fluten betroffenen Ländern zur Verfügung gestellt werden. Die haben sich bereits vor einigen Jahren in der V20 organisiert, der inzwischen 58 Staaten in Afrika, Asien, im Pazifik und in Lateinamerika angehören.
Die Umweltorganisation Germanwatch lobte die Initiative. Mit den 170 Millionen Euro etabliere sich Deutschland als Vorreiter unter den Industrieländern. Damit sei ein guter Anfang gemacht. »Mit Blick auf die tatsächlichen Schäden und Verluste durch die Klimakrise ist die Summe allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.« Verschiedene Studien schätzen die Schäden allein in den Entwicklungsländern bis 2030 auf mehrere hundert Milliarden Euro pro Jahr. Auch Neubauer von Fridays for Future forderte, reiche Industriestaaten wie Deutschland müssten den armen Ländern Schadenersatz leisten. Leider deute aber wenig auf eine solche Zusage hin. »Wenn sich das nicht ändert bis zum Ende der Konferenz, wäre das eine Katastrophe.«
Eine Milliarde für den Wald
Aus demselben Topf kommen die Gelder für den Schutz der Wälder weltweit, die bis 2025 von einer auf zwei Milliarden Euro aufgestockt werden sollen. Sie sollen vor allem den Regenwäldern im zentralafrikanischen Kongobecken und im südamerikanischen Amazonas-Gebiet zugute kommen. Nach Angaben des Entwicklungsministeriums gingen seit 1990 schätzungsweise 420 Millionen Hektar Wald verloren, das entspricht ungefähr der Größe der Europäischen Union. 88 Prozent der Waldzerstörung gehe auf die Landwirtschaft zurück.
Absage an »Renaissance der fossilen Energien«
Verärgerung bei Klimaschützern löste Scholz in Scharm el Scheich mit seiner Warnung vor einer »Renaissance der fossilen Energien« und dem damit verbundenen Versprechen aus, dass es diese Renaissance in Deutschland nicht geben werde. Dies sei eine »Täuschung der internationalen Öffentlichkeit«, wenn Scholz gleichzeitig Geld für neue Gasfelder in Afrika bereitstellen wolle, die die Klimakrise anheizen, sagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser.
Der Kanzler hatte im Mai dem Senegal Unterstützung bei der Erschließung eines Gasfeldes vor der Küste versprochen. Das kleine Land in Westafrika soll zumindest einen Teil der Lücke füllen, die durch das fehlende Gas aus Russland entstanden ist.
Neubauer warf Scholz vor, die »treibende Kraft genau hinter diesem fossilen Backlash« zu sein - auch weltweit. Das Engagement für das neue Gasfeld im Senegal sei ein »katastrophales Signal auf dieser Klimakonferenz«, die sich in Gänze von fossilen Energien wegbewegen müsse, und hin zu erneuerbaren Energien. Scholz müsse persönlich mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Erderhitzung entwickeln, sagte die Aktivistin, die Mitglied der Grünen ist. »Wo ist das Machtwort für Erneuerbare?«, fragte sie.
Experten bezweifeln Einhaltung deutscher Klimaziele
Auch die Wissenschaft stellt Deutschland bisher aber keine gute Noten aus, was den Fortschritt beim Klimaschutz angeht: Nur zwei Tage vor dem Start der Beratungen in Ägypten hatte der unabhängige Expertenrat die deutschen Klimaschutzbemühungen als unzureichend abgewatscht - auch wenn die um Nüchternheit bemühten Fachleute das nie so formulieren würden. Ihr Fazit: Unwahrscheinlich, dass Deutschland sein Ziel, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, noch schaffen kann.
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