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Scholz bleibt nach US-Kehrtwende bei Nein zu Taurus

Eigentlich hat Kanzler Scholz längst einen Strich unter die Taurus-Debatte gezogen. Aber er wird das Thema nicht los. Beim G20-Gipfel holt es ihn ein.

G20-Gipfel
Kanzler Scholz hat schon vor mehr als einem Jahr Nein zu Taurus gesagt. Trotzdem wird ihm die Frage immer wieder gestellt Foto: Kay Nietfeld/DPA
Kanzler Scholz hat schon vor mehr als einem Jahr Nein zu Taurus gesagt. Trotzdem wird ihm die Frage immer wieder gestellt
Foto: Kay Nietfeld/DPA

Trotz der mutmaßlichen US-Erlaubnis für den Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele in Russland will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiter keine Taurus-Raketen an die Ukraine liefern. »Ich habe sehr klare Gründe, warum ich die Lieferung von Marschflugkörpern Taurus (...) nicht für richtig halte«, sagte Scholz am Rande des G20-Gipfels in Rio de Janeiro. Deutschland müsste sich dafür an der Zielsteuerung beteiligen. »Das ist aber etwas, was ich nicht verantworten kann und auch nicht will.« 

US-Medienberichten zufolge soll US-Präsident Joe Biden eine Erlaubnis für den Einsatz von ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern gegeben haben. Die Waffen sollen wahrscheinlich zunächst gegen russische und nordkoreanische Truppen eingesetzt werden, um die ukrainischen Streitkräfte in der westrussischen Region Kursk zu unterstützen. Ukrainische Truppen halten dort seit ihrem überraschenden Vorstoß über die Grenze im August Gebiete. Nun zeichnet sich eine Gegenoffensive Moskaus ab, um die Ukrainer wieder zurückzudrängen. 

Die Taurus haben mit 500 Kilometern eine noch größere Reichweite als die ATACMS. Scholz hat mehrfach darauf verwiesen, dass sie von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen könnten. Im Mai 2023 hatte die Ukraine die Lieferung der Raketen bei der Bundesregierung förmlich beantragt. Die Absage des Kanzlers erfolgte im Oktober. Seitdem ist er nicht von seiner Haltung abgerückt. Er betont, dass er darin die Gefahr einer Eskalation sehen würde. 

FDP bringt Votum des Bundestags ins Spiel

Der innenpolitische Druck auf ihn wächst nach dem Ampel-Aus aber. Die Grünen sind als Koalitionspartner der SPD ebenso für eine Lieferung wie die Oppositionsparteien Union und FDP. Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck hat bereits angekündigt, dass er im Fall einer Wahl zum Regierungschef sofort Taurus an die Ukraine liefern würde. 

Die FDP zieht nach dem Ampel-Aus in Erwägung, eine Abstimmung im Bundestag herbeizuführen. Zusammen mit den Grünen und der Union gäbe es rechnerisch eine Mehrheit. Selbst ein Bundestagsbeschluss würde aber nichts ändern. Die Entscheidung über die Lieferung von Taurus liegt bei der Bundesregierung und damit letztlich bei Scholz, der die Richtlinienkompetenz hat. 

Baerbock stellt sich gegen Scholz

Außenministerin Annalena Baerbock reagierte zustimmend auf die US-Berichte. Es gehe jetzt darum, »dass die Ukrainer nicht warten müssen, dass die Rakete über die Grenze fliegt, sondern dass man die militärischen Abschussbasen, dass man von dort, wo die Rakete geflogen wird, dass man das zerstören kann«, sagte sie im rbb Inforadio. Es sei schon lange bekannt, dass die Grünen »das genauso sehen wie unsere osteuropäischen Partner, wie die Briten, wie die Franzosen und auch wie die Amerikaner«. 

Das Thema dürfte am Rande des G20-Gipfels für Diskussionen sorgen, auch wenn der Ukraine-Krieg dort offiziell keine Rolle spielt. Das gilt auch für Drohnenlieferungen an Russland, die Baerbock (Grüne) am Rande eines EU-Treffens in Brüssel China vorwarf. »Das muss und wird Konsequenzen haben«, sagte sie dort. Am Dienstag trifft Scholz den chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Rio.

Drei Nato-Staaten haben weitreichende Waffen geliefert

Neben Scholz sind mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premierminister Keir Starmer die drei Nato-Staaten vertreten, die bereits Raketen mit größerer Reichweite an die Ukraine geliefert haben.

Deren Einsatz gegen russisches Territorium fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Monaten, um Stellungen und Nachschublinien auf russischem Gebiet weit hinter der Frontlinie treffen zu können. Es geht vor allem um russische Militärflughäfen, von denen Kampfjets aufsteigen, um auf ukrainische Ziele Gleitbomben abzuwerfen oder Raketen abzufeuern. Auch die von ukrainischen Truppen gehaltenen Gebiete im russischen Kursk will Kiew verteidigen, um sie in künftigen Verhandlungen mit Russland als Druckmittel zu nutzen.

USA äußern sich nicht zu Taurus

Der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, wollte die Berichte zwar nicht offiziell bestätigen, dementierte sie aber auch nicht. Er verwies mit Blick auf Berichte über den Einsatz nordkoreanischer Truppen auf russischer Seite darauf, dass es in den vergangenen Wochen eine »bedeutende russische Eskalation« gegeben habe. »Wir haben den Russen gegenüber deutlich gemacht, dass wir darauf reagieren würden.« Auf die Frage, ob die US-Regierung eine Lieferung der deutschen Marschflugkörper Taurus unterstütze, wollte Finer nicht antworten.

Bislang beschränkten die USA wie auch Deutschland den Einsatz ihrer Waffen gegen Russland auf die Abwehr der russischen Offensive gegen die ostukrainische Stadt Charkiw. Hier haben die USA den Einsatz des Raketenwerfersystems vom Typ Himars erlaubt. Die weitreichendste von Deutschland an die Ukraine gelieferte Waffe ist bisher der Raketenwerfer Mars II, der Ziele in 84 Kilometern Entfernung treffen kann. Scholz bekräftigte in Rio, dass Charkiw eine Ausnahme bleiben werde.

Trump-Berater spricht von »Schritt auf der Eskalationsleiter« 

Die Kehrtwende Bidens so kurz vor dem Machtwechsel in Washington ist beachtlich. Sein designierter Nachfolger Donald Trump hat die milliardenschwere US-Militärhilfe für die Ukraine im Wahlkampf stets infrage gestellt. Dennoch muss die Entscheidung Bidens nicht im Widerspruch zu Trumps Politik stehen. Der Republikaner will Russlands Präsidenten Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zwingen. 

Trumps designierter Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz gab kurz vor der US-Wahl ein Interview und sprach darin auch darüber, dass Moskau und die Ukraine verhandeln müssten. »Wir haben ein Druckmittel, zum Beispiel das Abnehmen der Handschellen für die Langstreckenwaffen, die wir der Ukraine geliefert haben«, sagte Waltz. Nun sprach Waltz in einem Interview mit dem Sender Fox News mit Blick auf Bidens Zusage von einem »weiteren Schritt auf der Eskalationsleiter« und einer »taktischen Entscheidung«. Trump ginge es darum, beide Seiten an den Tisch zu bekommen, um diesen Krieg zu beenden. 

Briten und Franzosen halten sich bedeckt

Die britische Regierung hielt sich nach den US-Medienberichten zunächst bedeckt. London unterstützt die Ukraine mit Raketen vom Typ Storm Shadow. Der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge beantwortete eine Regierungssprecherin nicht, ob deren Einsatz auf russischem Gebiet nun auch erlaubt werde. »Wir waren stets überzeugt, dass die Bekanntgabe spezifischer Details zu operativen Fragen nur Putin in seinem andauernden illegalen Krieg nutzen würde«, sagte sie demnach.

Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot verwies auf Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom Mai. Frankreich habe damals gesagt, dass der Einsatz der weitreichenden Waffen eine Option sei, die man erwäge. Frankreich liefert Scalp-Raketen, die baugleich mit den Storm Shadow sind und eine Reichweite von 250 Kilometern haben. »Wir denken, dass wir ihnen erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die Raketen abgefeuert werden, und im Grunde genommen die militärischen Standorte, von denen aus die Ukraine angegriffen wird, zu neutralisieren«, hatte Macron damals gesagt. 

Das russische Außenministerium warnte die westlichen Staaten vor einer Freigabe weitreichender Waffen an die Ukraine. Sollte Kiew diese Waffen gegen Russland einsetzen, bedeute das eine direkte Verstrickung der USA und ihrer Verbündeten in den Krieg, schrieb die Sprecherin der Behörde, Maria Sacharowa bei Telegram. »Russlands Antwort wird in so einem Fall adäquat und spürbar sein.« Nähere Details zu einer möglichen Reaktion gab sie nicht preis.

© dpa-infocom, dpa:241117-930-291530/7